Das Alte Testament der Popkultur: Alben, die in jede gut sortierte Rock-Sammlung gehören. Widerspruch ist zwecklos.
Über keine andere Rockband ist so viel geschrieben worden, wie über die Beatles. Keine hat so viele Platten verkauft und derartige Massen von jungen Menschen inspiriert, selbst ein Instrument in die Hand zu nehmen. Zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug, bedient von vier halbwegs gleichberechtigten Individuen: Erst mit den Fab Four nahm die klassische Rockband Gestalt an, denn davor gab es nur Sänger und ihre dezent im Hintergrund agierenden Begleitcombos. Und: The Beatles faszinieren noch heute, mehr als 60 Jahre nach ihren Anfängen in Hamburg und über 50 Jahre nach ihrem Ende im Streit.
Der Grund dafür ist schnell erklärt: Die vier Liverpooler haben die Grundlagen geschaffen, sie sind quasi das Alte Testament der Popkultur, die Wiege diverser Genres vom Britpop bis zum Progrock. Und vor allem: Der Großteil ihrer Songs funktioniert noch heute, repräsentiert außerdem die Trias kluges Songwriting, intelligente Produktion und das lobenswerte Bestreben, künstlerisch neue Ufer zu erreichen.
Was dann auch ein Problem aufwirft, zumindest für diese Rubrik, in der gemeinhin Gutes von Schlechtem getrennt wird. Denn so richtigen Mist haben die Beatles eigentlich zu keiner Zeit produziert; selbst die vermeintlich schwächeren Werke in ihrem Repertoire sind zumindest interessante Zeitgeistdokumente und haben zudem oft genug Songs an Bord, die über jeden Zweifel erhaben sind. Weshalb die Auswahlkriterien in diesem Fall auch nicht rein qualitativer Natur sein können, sondern sich vielmehr an den heutigen Hörgewohnheiten orientieren.
Unverzichtbar
Revolver (1966)
Brillante Songs mit großer stilistischer Bandbreite, dazu eine Atmosphäre, die so ganz dem 66er-Zeitgeist entsprang: Beat war passé, die Hippie-Kultur jedoch noch nicht ganz angekommen. Das Ergebnis war Rock mit leicht psychedelischer Schräglage und experimentellen Untertönen. Von allen Beatles-Album hat REVOLVER die Jahre am besten überdauert, ›Tomorrow Never Knows‹, ›Taxman‹, ›I’m Only Sleeping‹ und ›She Said She Said‹ funktionieren noch heute bestens. Auch Paul McCartney, oft als Balladier missverstanden, lieferte Großes ab: ›Eleanor Rigby‹ etwa, ›For No One‹ und die Soul-Adaption ›Got To Get You Into My Life‹.
Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band (1967)
Die Erfindung des Prog-Rock, exzellent in Szene gesetzt: Allein ›A Day In The Life‹ lohnt die Anschaffung, doch auch der Rest des Albums überwand Genregrenzen auf spielerische Art. Der Titeltrack und ›Lucy In The Sky With Diamonds‹ sind Psychedelic-Rock, bei ›Fixing A Hole‹ klimpert das Cembalo, und die Harfe hielt mittels ›She’s Leaving Home‹ Einzug in den Pop. Auch wunderbar eigenartig: die Klangcollagen bei ›Being For The Benefit Of Mr. Kite‹ und die Indien-Reise ›Within You Without You‹. Ein Meisterwerk der Hippie-Kultur, deren Motto lautete: Alles ist erlaubt.
Wunderbar
Rubber Soul (1965)
The Beatles hatten Dylan gehört, Marihuana entdeckt und die Nase voll von konventionellen Junge-trifft-Mädchen-Texten. Was in einem Werk kulminierte, das man als Geburt des Pop-Albums bezeichnen kann: weitgehend stringent und größer als die Summe seiner Teile. Lennon, aufgrund Beatlemania und privater Malaisen in der Krise, lieferte Großes wie ›In My Life‹ und ›Norwegian Wood‹ ab, der Grundton des Albums war zwar folkig, doch auf ›Drive My Car‹ klangen The Beatles so funky wie nie zuvor. Wichtig: Die UK-Ausgabe ist das Original, US-Ableger Capitol machte daraus ein völlig anderes Album.
The Beatles (1968)
Das berühmteste Doppelalbum der Popgeschichte: Die Verpackung ist schlicht, der Inhalt aber ein wahres Füllhorn unterschiedlichster Pop-Spielarten. Das Spektrum reicht vom folkigen ›Blackbird‹ bis zum Hard Rock ›Helter Skelter‹, von ›Yer Blues‹ bis zum avantgardistischen ›Revolution #9‹. All das ist größtenteils wunderbare Musik, doch der Beigeschmack des „Weißen Albums“ ist dennoch ein wenig bitter. Denn statt einer an einem Strang ziehenden Band waren jetzt vier Individuen am Werke, denen der Sinn zunehmend nach Emanzipation stand. Künstlerisch wertvoll, aber der Anfang vom Ende der Beatles.
Abbey Road (1969)
ABBEY ROAD wurde nach LET IT BE aufgenommen, aber früher veröffentlicht. Harrison, als Songwriter gereift, steuerte den Engtanz-Knüller ›Something‹ und das elegante ›Here Comes The Sun‹ bei, für Neuklang sorgen ein Moog-Synthesizer sowie die B-Seite des Albums: Da die einst gedeihliche Zusammenarbeit zwischen Lennon und McCartney lahmte, entschied man sich, ihre Song-Fragmente zu einer Art Kollage zu verknüpfen, was auch bestens funktionierte. ABBEY ROAD mit seinem ikonengleichen Cover-Artwork betört mit intensiven Momenten – etwa Lennons hypnotischem ›I Want You (She’s So Heavy)‹.
Help! (1965)
Das letzte Album der Beatles-Frühphase und der Soundtrack zum zweiten Kinofilm der Liverpooler: Der kraftvolle Titelsong, das rhythmisch unorthodoxe ›Ticket To Ride‹ und Lennons folkiges ›You’ve Got To Hide Your Love Away‹ sorgen für Abwechslung auf hohem Niveau, und zum Abschluss lassen die Beatles mit Larry Williams’ Rock’n’Roll ›Dizzy Miss Lizzy‹ noch einmal die Sau raus. Häufig unterschätzt, aber enorm hörenswert: Das vom E-Piano getriebene ›The Night Before‹, ›Another Girl‹ mit seinen Country-Anklängen und der herzhaft-schwungvolle Britfolk ›I’ve Just Seen A Face‹.
Anhörbar
A Hard Day’s Night (1964)
Anhörbar? Aber allemal: Der Soundtrack zum gleichnamigen Kino-Debüt der Beatles ist die Essenz dessen, was die Beatlemania der frühen sechziger Jahre befeuert hatte: Pop-Melodien, dargebracht aber mit Rock’n’ Roll-Attitüde und wunderbarem, meist mehrstimmigem Gesang. John Lennons Einfluss war bei diesem Album signifikant, seine Rocker der Marke ›When I Get Home‹ und ›I’ll Cry Instead‹ atmen Countryrock-Flair. Zudem: Allein schon der Anfangsakkord des Titeltracks ist legendär – und George Harrison ließ hier erstmals die zwölfsaitige Rickenbacker-Gitarre scheppern.
Beatles For Sale (1965)
Gewiss nicht das spektakulärste aller Beatles-Alben, aber eines mit zweifellos wunderschönen Momenten: Etwa, wenn sich ›Eight Days A Week‹ mit originellem Gitarrenarrangement anschleicht und wieder von dannen macht, wenn George Harrison beim Solo zu ›I’m A Loser‹ ganz Rockabilly-mäßig seine Gretsch-Gitarre sprechen lässt, wenn sich beim Walzertakt von ›Baby’s In Black‹ bierseliges Liverpooler Kneipenfeeling breit macht oder ›I Don’t Want To Spoil The Party‹ auf den Punkt bringt, wie ein knackiger, unprätentiöser Popsong aufgebaut sein sollte – und in kurzer Zeit alles sagt, was gesagt werden musste.
Let It Be (1970)
Das Album, das den Beatles den Todesstoß versetzte: Man changierte zwischen betont schlicht und herzhaft gehaltenen Rocksongs sowie vollfetten Balladen, doch da man mit dem Ergebnis – und Paul McCartneys Führungsansprüchen – nicht zufrieden war, gab es Streit – und man engagierte den exzentrischen Produzenten Phil Spector. Der blies einige Stücke orchestral auf, was das Album allerdings nicht zwangsläufig besser machte. ›Get Back‹ und ›Across The Universe‹ faszinieren noch immer, und wer Spectors sirupdicke Produktion nicht mag, dem sei die abgespeckte Ur-Version LET IT BE NAKED empfohlen.
Sonderbar
Yellow Submarine (1969)
Der von Grafiker Heinz Edelmann kreierte Zeichentrickfilm gleichen Namens ist eine Pop-Art-Ikone ohne Wenn und Aber, der dazugehörige Soundtrack vereint allerdings Licht und Schatten: Die erste Seite mit – streckenweise enorm progressiven – Beatles-Songs (›Only A Northern Song‹, ›It’s All Too Much‹) macht Spaß, den Rest des Albums bestritt jedoch Produzent George Martin mit seinem orchestralen Film-Score: nett, aber nicht unbedingt zwingend. Was dann doch wieder für dieses Album spricht, ist das grandiose ›Hey Bulldog‹. Ein klasse Song, der eigentlich auf keinem Beatles-Sampler fehlen darf….
Schön geschrieben und die Songs toll „erfühlt“.. Ja, unvergesslich und wertvoll – höre und spiele ich (was ich halt kann) z. T. immer wieder!