Sie sind nicht nur eine der größten Bands, die je aus Los Angeles kamen. Sie mixten auch Funk mit Rock und allerlei mehr, um ihn so in Höhen zu führen, die er zuvor nie erreicht hatte.
Nur wenige Bands hatten so viele zweite Akte wie die Red Hot Chili Peppers. Oder dritte, vierte und fünfte. Gegründet 1983 von den Schulfreunden Anthony Kiedis und Michael „Flea“ Balzary, folgten die Peppers einem unberechenbaren Pfad, der sie von ihren Anfängen als FunkRockKasper in Hollywood zu einer einigermaßen unwahrscheinlichen Position als elder statesmen des Alternative führte.
Und der Weg dahin war alles andere als einfach. Abgesehen von einem ziemlich hohen Verschleiß an Mitgliedern (bis heute acht Gitarristen und vier Schlagzeuger) wurden sie mehr als einmal von der Drogensucht aus der Bahn geworfen. Kiedis wurde 1987 aufgrund eines ernsthaften Heroinproblems kurzzeitig aus seiner eigenen Band geschmissen. John Frusciante verwandelte sich in seiner ersten vierjährigen Zeit an Bord von einem enthusiastischen Wunderkind in einen cracksüchtigen Einsiedler, der sich im berühmt berüchtigten Hotel Chateau Marmont verbarrikadierte und mit seinem eigenen Blut Bilder malte.
Und doch erging es beiden noch wesentlich besser als dem Mitbegründer und Gitarristen Hillel Slovak, der im Juni 1988 an einer Überdosis starb, just als die Band kurz vor ihrem internationalen Durchbruch stand.
Doch die Herren sind viel härter im Nehmen, als es ihr ÜberProletenImage vermuten ließe, und die Seifenopern der vergangenen drei Jahrzehnte haben bisweilen ihre musikalischen Qualitäten überschattet. Ihr anfänglicher Mix aus kalifornischem Punkrock, Funk, britischem Postpunk und weißem Rap war fast im Alleingang für die FunkRockExplosion Ende der 80erJahre verantwortlich.
Und so tragisch Slovaks Tod für die verbliebenen Mitglieder war, gab er ihnen doch den nötigen Weckruf, um endlich professioneller zu werden. MOTHER‘S MILK (1989) und das ausladende BLOOD SUGAR SEX MAGIK (1991) lösten jedenfalls das Versprechen ein, das sie bis dahin gegeben hatten. Vor allem Letzteres wurde ein riesiger Erfolg, angetrieben von den unaufhaltsamen Hitsingles ›Give It Away‹ und ›Under The Bridge‹. Der nächste Stolperstein folgte aber auf dem Fuß: Frusciante stieg während der Tour zu diesem Album aus – der Beginn einer ausgedehnten chaotischen Phase, die erst sein Wiedereinstieg zu CALIFORNICATION (1999) erneut beenden konnte.
Über das letzte Jahrzehnt haben sie hingegen ihren erwachsenen Groove gefunden, der ihre scheinbar unerschöpfliche Energie mit der Weisheit und Experimentierfreude des Alters verbindet. Selbst Frusciantes erneuter Ausstieg 2009 konnte sie dabei nicht aufhalten. Mehr als 30 Jahre nach ihrer Entstehung haben die Red Hot Chili Peppers ihren Platz neben den Beach Boys, den Doors, den Eagles, Van Halen und Guns N‘ Roses im Pantheon der klassischen Bands aus Los Angeles gefunden.
Unverzichtbar
MOTHER‘S MILK
EMI, 1989
Auf ihren ersten drei Alben hatten die Peppers ihren Claim als L.A.s größte Partylöwen abgesteckt. Auf diesem, ihrem vierten jedoch fingen sie an, erwachsen zu werden – und musikalisch zuzulegen. Geschrieben und aufgenommen im langen Schatten von Hillel Slovaks Tod, ist dies der Klang einer Band, die ihre Trauer auf die einzige Weise verarbeitet, zu der sie fähig ist: mit einer Party. Doch wo der atemlose Funk und die Hochdruck-Energie auf ›Good Time Boys‹ und ihrem Cover von Stevie Wonders ›Higher Ground‹ erhalten bleiben, kann der euphorische Pop-Rock-Sturm von ›Knock Me Down‹ Kiedis‘ Schmerz über den Verlust seines Freundes kaum verbergen.
CALIFORNICATION
WARNER, 1999
Die Chilis waren schon die „L.A.ste“ aller L.A.-Bands, und dies ist ihr L.A.stes Album. Was genau der Grund dafür ist, warum es so brillant ist. John Frusciantes Rückkehr hatte frischen Wind in die Reihen der Peppers gebracht, wodurch eine Platte entstand, die so dynamisch, weiträumig und komplex ist wie die Stadt, die sie hervorbrachte. Der Funk-Rock vergangener Tage wird hier nicht unbedingt abgehakt, sondern vielmehr zu etwas Reiferem, Intelligenterem geschliffen. ›Around The World‹ und ›Parallel Universe‹ hielten das Energielevel hoch, doch es sind die langsameren Songs wie ›Scar Tissue‹, ›Otherside‹ und der Titeltrack, die eine nachdenklichere, maßvollere Seite zeigen, die den Weg der Jungs in die Zukunft weisen sollte.
Wunderbar
THE UPLIFT MOFO PARTY PLAN
EMI, 1987
Trotz Kiedis‘ zunehmender Heroinsucht war der Drittling das bislang muskulöseste und kohärenteste Werk der Chilis. Ein Verdienst von Pro du zent Michael Beinhorn, der ihren Fokus auf den Rock schärfte. Das Beastie-Boys-eske ›Fight Like A Brave‹ ist ihre erste große Rap-Rock-Hymne, während ›Behind The Sun‹ das machohafte Brusttrommeln zugunsten glückseliger Psychedelic zurückstellt. Je weniger Worte man über ›Special Secret Song In side‹ (aka ›Party On Your Pussy‹) verliert, desto besser. Aber hier wurde die Band zu dem, was wir kennen und lieben.
BLOOD SUGAR SEX MAGIK
WARNER, 1991
Mit Produzent/Guru/Starmacher Rick Rubin am Steuer ihres fünften Albums wurden die Chilis zu den Megastars, die sie in ihrer Fantasie immer schon waren. Aufgenommen in einem angeblichen Geisterhaus, das einst Harry Houdini gehörte, trifft BLOOD SUGAR SEX MAGIK exakt jenen Punkt, wo Spiritualität und Fleischeslust miteinander kollidieren. ›Give It Away‹, ›Suck My Kiss‹ und ›Sir Psycho Sexy‹ bringen den hibbeligen Funk-Rock auf einen logischen Schlusspunkt. Der herausragende Moment ist zweifellos Kiedis‘ Junkie-Meaculpa ›Under The Bridge‹.
STADIUM ARCADIUM
WARNER, 2006
Ihr einziges Doppelalbum und ein unterschätztes Werk. Viele taten es als aufgeblasenes Eitelkeitsprojekt ab, doch das ist von der Wahrheit weit entfernt. Der Refrain des gigantischen Openers ›Dani California‹ ist so groß wie das Ballungsgebiet L.A., hinter jeder Ecke findet sich ein Juwel, von ›Snow‹ bis zum Krautrocki-inspirierten ›Animal Bar‹. Vor allem ist es eine Bühne für die Brillanz John Frusciantes, dessen gottgleiche Gitarrenarbeit wie eine passive Übernahme der Band anmutet. Unter den 28 Tracks findet sich nur eine Niete: der stumpfsinnige Funk von ›Hump De Hump‹
BY THE WAY
WARNER, 2002
Wo CALIFORNICATION die triumphale Rückkehr bedeutete, konnte die Band auf diesem Nachfolger wieder durchatmen. Der schwanzwedelnde Machismo von einst ist so gut wie passé, ersetzt durch eine sanftere, fokussiertere Herangehensweise. Was dem Album an knackigem Wumms fehlt, macht es mit Textur wieder wett: das rollende Titelstück, ›Zephyr‹ und der zarte Ska von ›On Mercury‹ erweiterten ihr Klangspektrum noch mal deutlich. BY THE WAY bewies, dass CALIFORNICATION kein Glückstreffer und die Peppers endgültig erwachsen geworden waren.
Anhörbar
THE RED HOT CHILI PEPPERS
EMI, 1984
In Morgengrauen der Glam-Metal-Ära waren die noch fast kindlichen Chilis eine Anomalie auf dem Sunset Strip neben Acts wie Ratt und Mötley Crüe. Ihre Andersartigkeit wurde auf ihrem Debüt nur
noch unterstrichen. Produzent Andy Gill von den britischen Postpunk-Helden Gang Of Four scheiterte zwar daran, die Energie der Band einzufangen. Doch während das Ergebnis – trocken-funky und seltsam flach – nur stellenweise als RHCP erkennbar ist, sind die Puzzlestücke bereits allesamt vorhanden – sie mussten nur noch richtig zusammengesetzt werden.
FREAKY STYLEY
EMI, 1985
Auf ihrem Zweitling schwang das Pendel ins andere Extrem. Hier saß George Clinton an den Reglern, der abgedrehte Derwisch hinter den Funk-Legenden Parliament. Was auch immer das für ein Zauberpulver war, das er über der Band auskippte – es funktionierte: Sie klangen nie zuvor oder seither so natürlich funky. Die Platte war die Rückkehr für Gitarrist Hillel Slovak, der noch vor dem Debüt ausgestiegen war. Sein mühelos flüssiges Spiel auf Highlights wie ›Jungle Man‹ und ›Catholic School Girls‹ ist nicht minder wichtig für den Chili-Sound als Fleas Bass-Akrobatik oder Kiedis‘ keifende Raps.
I‘M WITH YOU
WARNER, 2011
Nach dem epischen Statement von STADIUM ARCADIUM gab Frusciantes zweiter, weniger traumatischer Weggang 2009 der Band die Gelegenheit, den Reset-Knopf zu drücken. Das Ergebnis war eines ihrer experimentellsten, vielschichtigsten Alben. Der vormalige Tourgitarrist Josh Klinghoffer kanalisierte die fließende Genialität seines Vorgängers perfekt: ›Monarchy Of Roses‹ und ›The Adventures Of Raindance Maggie‹ klingen wunderbar rund, während das wehklagende ›Brendan‘s Death‹ dem einstigen Mentor Brendan Mullen so herzzerreißend Tribut zollt, wie es für die Band 20 Jahre zuvor völlig undenkbar gewesen wäre.
Sonderbar
ONE HOT MINUTE
WARNER, 1995
Auch bekannt als „eine mittelprächtige Stunde“. Auf dem Papier war es vielversprechend, den Ex-Jane‘s-Addiction-Gitarristen Dave Navarro ins Boot zu holen. Doch in Wirklichkeit wurde daraus ein Rohrkrepierer. Beide Seiten kreisten skeptisch umeinander und ließen alle potenziellen Zündfunken im Keim ersticken. ›Warped‹ knistert und zischt noch wie ein psychedelischer Feuerwerkskörper und ›My Friends‹ ist ein gelungenes Wiederaufwärmen der entspannten Atmosphäre, die sie mit ›Under The Bridge‹ perfektioniert hatten. Der Rest ist das müde Sammelsurium einer ausgelaugten Band.