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Vibravoid: 30 Jahre Underground

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Vibravoid: 30 Jahre Underground

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1990 nahmen Vibravoid in ihrer Heimatstadt Düsseldorf Kurs auf und segelten hinein in eine bewusstseinserweiternde Bandgeschichte, die bis heute von Pionierarbeit, ungewolltem Trendsetting, künstlerischer Autarkie und einer starken Verwurzelung im Underground geprägt ist. Im Interview erklärt Mastermind Christian alias „Der Doktor“, warum der Begriff Psychedelic ein absolutes Inflationsopfer ist, wieso er bereits vor einigen Monaten den Zusammenbruch des Systems prophezeite und wie Vibravoid es schaffen, pro Jahr mehrere erstklassige Veröffentlichungen wie das neue THE DECOMPOSITION OF NOISE ins Rennen zu bringen.

Was war die Initialzündung für deine Passion für Psychedelic?

Mir haben einfach in den 80er Jahren die 80er Jahre nicht gefallen. Silvester von ’89 auf ’90 habe ich aus dem Fenster gebrüllt: „Endlich ist die Scheiße vorbei!“ (lacht) Ich bin 1970 geboren und das, was mir musikalisch gefallen hat, stammte aus den 60ern. Meine Mutter war früher ein Rock’n’Roll-Fan und immer am Puls am Zeit. Meine Lieblingskindheitsbeschäftigung war es, mich vor dem Braun-Schneewittchensarg-Plattenspieler mit LPs von Hendrix, den Byrds und Co. füttern zu lassen. Meine Eltern wussten, dass sie dann ihre Ruhe haben.

Deiner Meinung nach treibt die aktuelle Stoner- bzw. Neo-Doom-Szene mit dem Begriff „Psychedelic“ Schindluder…

Es hat wenig Sinn, ständig darauf hinzuweisen, weil man schnell als Spinner abgestempelt wird. Die meisten Leute interessieren sich eh nicht dafür. Die ganze Rockgeschichte ist doch seit zwanzig Jahren tot. Als Techno vorbei war, war auch das soziokulturelle Leben der Musikszene mehr oder minder vorbei. Man sieht deutlich den Werteverfall in der Musik, in den letzten 50 Jahren hat ein deutlicher Abwärtstrend eingesetzt. Die Bands haben nichts mehr zu sagen, es gibt keine Botschaft mehr und man wagt nichts Neues. Viele versuchen, die alten Werte wieder aufzugreifen, um Authentizität zu erreichen. Da kann man zwar niemandem direkt einen Vorwurf machen, aber die Konsumierbarkeit wird immer höher, weil der Durchschnittsbürger keine Lust mehr hat, sich mit Inhalten auseinanderzusetzen.

Und wo sortierst du Vibravoid in diesem Szenario ein?

Ich sehe unsere Arbeit ein wenig als Zeitkapsel. Dadurch dass wir so extrem früh damit angefangen haben, können wir bestimmte Sichtweisen und Werte konservieren. Die Konsequenz liegt bei uns ja darin, diese Ideen, die wir schon vor dreißig Jahren hatten, weiterzutragen. Wir sind relativ außen vor.

Deine Definition von Psychedelic?

Der Wortstamm kommt ja aus dem Griechischen und bedeutet so viel wie „lesbare Seele“, was auch in der Freudschen Psychotherapie thematisiert wurde. Dass man die Blockade des Ichs lösen muss, um das Unterbewusstsein zu ergründen. Also dass alles dem Menschen Auferlegte erst mal nivelliert wird und man schaut, was wirklich dahinter steckt. Es geht um die Suche nach Wahrheit. Psychedelic ist deswegen kein wirkliches Genre, sondern eine grundsätzliche Haltung, die sich in der Musik widerspiegeln soll.

Funktioniert dieser Nivellierungsprozess ohne Drogen?

In der Psychiatrie geht „psychedelisch“ eindeutig mit Drogenkonsum einher. In den 60ern haben sich die Leute alles möglich reingeballert und konnten Teilen der Gesellschaftsstrukturen entfliehen, indem sie sich Freiräume erschufen. Wie man das am Ende macht – durch Drogen, Meditation oder logisches Denken – ist egal. Es geht um die kritische Reflexion. Aber ich kenne auch Menschen, die LSD genommen haben und bei denen das Leben danach nicht mehr das gleiche wie vorher war.

Wie erklärst du dir diese Vibravoid-Kombi aus Pionier-Sein und Underground?

Als in den letzten Jahren diese ganzen Psych-Festivals groß wurden, wurden wir kein einziges Mal eingeladen. Wir machen das seit Jahrzehnten und werden von diesem Revival komplett ausgeschlossen. Es scheint also nichts mit dem zu tun haben, was die Leute heute als Psychedelic verstehen. Aber wir kennen die Welt ja seit jeher nur aus der Außenseiterposition, sind schon immer an unserer eigenen Generation vorbeigeschossen. Und wenn keine Szene da war, dann haben wir uns halt selbst eine gebastelt. Was wir machen, ist heute noch genauso Underground wie vor 30 Jahren. Rein künstlerisch war es uns stets wichtig, absolut authentisch und nah an der Originalsache zu bleiben. Ich sage immer: Nach 1970 ist die Rockmusik eigentlich gestorben. Wir befinden uns nach wie vor in diesem Sterbeprozess. Da ist es schwer, Leute zu finden, die ähnlich ticken wie wir.

Besteht für dich Hoffnung, dass dieser Sterbeprozess aufhört?

Im Kontext gesellschaftlicher Entwicklung sehe ich sehr schwarz. Gerade dieses Jahr 2020 ist ein offenes Buch, in dem man lesen kann, wie unsere Welt vor die Hunde geht. Die Dummheit und Ignoranz der Menschen, die politischen Systeme, die kippen – wenn das wenigstens zu einem Verstehen führen würde, wäre eine Renaissance in der Kunst möglich. Aber da sehe ich wenig Nährboden für so etwas.

Wie schnell entstand die neue und brandaktuelle Single ›Black Corona Death Mantra‹?

Das ging binnen einer Woche. Ich habe schnell gemerkt, dass da etwas passiert, das nicht unter den Teppich gekehrt werden sollte. Die Corona-Welle, der soziale und wirtschaftliche Zusammenbruch der USA, zuvor noch der Brexit. Ich finde, wenn man heute etwas macht, sollte es schon aktuell sein. Ich hatte nach dem Vorfall mit George Floyd mit viel mehr Reaktionen aus der Musikszene gerechnet. Da kam irgendwie so gar nix.

Wann sind ›The Decomposition Of Noise‹ oder ›It Happened Tomorrow‹ entstanden?

Tatsächlich schon letztes Jahr als Soundtrack zu meinem Film „Im Zeichen des Zwilling“. Inhaltlich betrachtet habe ich mich im Nachhinein schon etwas erschrocken, wie aktuell das dann doch war. (lacht) Wobei es auch daran liegen kann, dass ich mich mit den Dingen auseinandersetze wie sie wirklich sind und in der logischen Konsequenz konnte es nur dahin führen, wo wir uns aktuell befinden. Mit dem Zusammenbruch des Systems rechne ich schon länger, aber dass es so zügig geht…

Ihr habt einen sehr frequenten Output. Wie sieht eine Woche im Leben des Doktors aus?

Der Doktor plädiert für den 60-Stunden-Tag. (lacht) Ich quäle mich um neun Uhr morgens aus dem Bett, erledige das Tagesgeschäft. Ab circa 18 Uhr fängt die Bandphase an und dauert bis in die frühen Morgenstunden. Und das täglich. In diesem Jahr wollten wir eigentlich zum Jubiläum auf Welt-Tournee gehen. Aber wir machen das jetzt wie die Beatles: Wenn wir nicht live spielen können, bringen wir einfach Platten raus.

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