VIII. GETEILTE MEINUNGEN
Nicht nur Jean de Breteuil bekommt in den frühen Morgenstunden des 3. Juli einen Anruf, sondern auch Alain Ronay und Agnes Varda. Sie tauchen in der offiziellen Akte Morrison gegen 8:00 morgens auf: „Bitte ruft den Notarzt. Ich glaube, mein Jim stirbt. Er ist im Bad und hat Blut an seiner Nase. Bitte ruft mich an.“ So fleht Pamela am Telefon. Dazu sagt Agnes Varda heute: „Sie rief mich an, und ich benachrichtigte sofort den Notarzt. Ronay gab ihnen die genaue Adresse. Wir machten uns gemeinsam auf den Weg, doch als wir eintrafen, sagte uns der Doktor: ‚Es ist zu spät, er ist bereits tot.‘ Unser Hausarzt Max Vasille kam hinzu, untersuchte Jim noch einmal. Aber es war hoffnungslos.“
Was halten Varda und Ronay von Bernetts Version? Ronay: „Die Story mit der Toilette ist lächerlich – und noch dazu unwahrscheinlich. Leute bemerken eine Leiche. Wie hätten sie Jim denn ohne Aufsehen aus dem Club schaffen können, über Gänge und Treppen bis zum Taxi in der Rue Mazarine? Völlig unmöglich.“
Agnes Varda wird noch ungehaltener: „Ich habe das Buch nie gelesen, aber was Bernett behauptet, ist Unsinn. Alles, was ich sagen kann: Ich traf Jim Morrison ein paar Tage vor seinem Tod, und er sah nicht gut aus. Am 2. Juli berichtete mir Alain, dass Jim in mieser Verfassung sei. Er war krank. Aber es war nicht mein Job, sein Händchen zu halten. Frag mich nicht, was andere Leute glauben, oder warum sie alberne Bücher darüber schreiben.“
Ist es wirklich albern? Bernett und Chauvel sehen das anders. „Zunächst glaubte ich auch nicht, dass die offizielle Version Blödsinn ist“, so Chauvel, „ich dachte, dass sie ihn nach Hause gebracht und in die Wanne gelegt hätten, damit er wieder klar im Kopf wird. Und dann ist er eben gestorben. Aber als die Sache im Club passierte, schlossen sie die Toilette, platzierten einen Wächter und behaupteten, die Anlage sei defekt. Es war die Damentoilette. Ich bin nicht der Einzige, der diese Geschichte erzählt. Es gibt keinen Zweifel daran, dass er nicht in der Badewanne starb. Er war in dieser Nacht definitiv im Club, daran gibt es nichts zu rütteln. Schon am Tag darauf kursierten erste Gerüchte, sie hätten ihn in extrem heißes Wasser gelegt, damit der Arzt den genauen Todeszeitpunkt nicht bestimmen konnte. Das könnte stimmen, aber ich weiß es natürlich nicht.“
Am frühen Morgen des 3. Juli, noch vor dem offiziellen Todeszeitpunkt, geschieht angeblich etwas Seltsames: Nachdem ihn zwei Typen zur Seite genommen haben, unterbricht Cameron Watson, DJ im Club „La Bulle“, die Musik, bittet um Ruhe und macht eine Ansage: „Meine Damen und Herren, Jim Morrison ist heute Nacht im ‚Rock’n’Roll Circus‘ verstorben.“
Diese Version der Geschichte kommt bereits wenige Tage nach Morrisons Tod ans Licht. In Paris kocht die Gerüchteküche, sogar die örtlichen Zeitungen nehmen sich der Story an. „Ich las einen Artikel im Le Parisienne, der ein paar Tage nach Morrisons Tod erschien“, erinnert sich Chauvel, „darin hieß es sinngemäß, dass Morrison zwar tot sei, es aber Unklarheiten hinsichtlich der Umstände seines Ablebens gebe.“
Die erste „Amtsperson“, die Morrisons Leiche zu Gesicht bekommt, ist der Feuerwehr-Notarzt Alain Raisson, der heute in Rio lebt. Er bestätigt, mit vier Kollegen in die Wohnung gekommen zu sein. Da der Körper noch warm gewesen sei, hätte man sofort mit Wiederbelebungsmaßnahmen begonnen: „Wir trugen ihn für die Herzmassage aufs Bett und versuchten ihn zurückzuholen. Das misslang. Es war eine kurze Begegnung, aber sehr intensiv und real.“ Die Wärme, das merkten sie später, war durch das Badewasser verursacht worden.
Ein paar Minuten später erscheint ein Arzt, der erstaunt darüber ist, dass dieser Mann in seinem marokkanischen Gewand erst 27 Jahre alt sein soll: „Der sieht doch viel älter aus. Ich schätze mal 57.“ Der Doktor nennt „Herzversagen“ als „natürliche Todesursache“, vermutlich verursacht durch „Atemprobleme“. Ein Autopsie ist nicht nötig.
Als Bernett sein Buch schreibt, kontaktiert er Raisson und den damals anwesenden Polizisten: „Der Notarzt erzählte mir, er habe gewusst, dass Morrison viel früher gestorben war. Er sagte: ‚Dieser Typ war schon seit ein paar Stunden tot.‘ Der Polizist sagte das Gleiche: ‚Ich wusste, dass mit dieser Story etwas nicht stimmte. Aber es war Sommer, und am nächsten Tag wollte ich in den Urlaub gehen.‘ Er wollte den Deckel einfach nur schnell zumachen und unterschrieb die Formulare.“
Gegen 9:00 Uhr wimmelt es auf der Rue Beautreillis vor Polizisten, auch eine kleinere Anzahl Schaulustiger hat sich versammelt. Courson und Ronay gelingt es dennoch, die Wohnung zweimal zu verlassen. Sie suchen ein Bestattungsunternehmen auf und lassen in der Bezirksverwaltung einen Totenschein ausstellen. Ihren Heroinvorrat hat Pamela längst durch die Toilette gejagt, außerdem ein paar von Jims Notizen und Briefen verbrannt. Auf die Frage nach dem Warum erklärt sie später, die Polizisten hätten „dieses Zeug“ nicht lesen sollen.
Die wildesten Gerüchte kursieren: Die korsische Mafia soll Morrison umgebracht haben. Ein Killer aus Marseille ist der Schuldige. Morrison stirbt an den Folgen eines Kampfes mit dem Grafen und seinen Schlägern. Er hat Selbstmord begangen. Der CIA hat ihm eine Überdosis verpasst. Unter seinem Bett lag ein blutiger Dolch. In seinem Kopf waren zwei Einschusslöcher. Sein Körper war von Blutergüssen übersät. Die Geschichten werden wilder und wilder.
IX. EIN EILIGER ABSCHIED
Courson entscheidet sich indes für die französische Variante des Aufbahrens. Statt den Toten ins Kühlhaus zu bringen, wird er im Schlafzimmer in einen Sarg gelegt. Regelmäßig taucht ein „Eismann“ auf, bewehrt mit Eisblöcken und Kanistern voller Trockeneis, um den Leichnam halbwegs frisch zu halten. „In Frankreich kann man das so machen“, erklärt Agnes Varda, „in Spanien auch, ebenso bei den Juden und den Arabern. Der Körper bleibt gut erhalten. Manche Leute behaupten, Bill Siddons habe Jims Beerdigung in Pere Lachaise organisiert. Stimmt nicht. Ich war’s. Ich half bei allen Formalitäten, denn es war nicht leicht, einen Ausländer auf diesem Friedhof beerdigen zu dürfen. Ich ar-rangierte es gemeinsam mit Jacques und Alain Ronay. Und diese Sekretärin tat gar nichts. Ich bemerkte sie erst bei der Beerdigung, als sie plötzlich neben mir stand. Wir hatten keinen Priester. Alles wurde schnell und sauber erledigt. Ganz normal. Ob ich froh bin, dabei gewesen zu sein? Jim war tot, und ich wünschte, er würde noch leben. Er war unersetzlich.“
Bittere Ironie: Noch Ende Juni hat Morrison den Friedhof besucht, ganz angetan von all den Künstlern, die dort begraben liegen. Ronay erinnert sich daran – doch anders als Madame Varda sagt er: „Ich habe Morrison in Pere Lachaise beerdigt. Es war meine Idee, ich habe alleine mit den Behörden verhandelt und die Grabstelle ausgesucht. Agnes hatte nichts damit zu tun, Bill Siddons auch nicht. Spricht er französisch? Also bitte! Und Robin Wertle? War verschwunden. Aber wie in allen guten Mystery-Geschichten tauchte sie später wieder auf. Siddons wurde von Pam kontaktiert, sie hatte kein Geld mehr und verlor so langsam die Kontrolle. Agnes kümmerte sich gut um sie. Pamela wollte, dass Jim in L.A. beerdigt wird. Ich sagte nur: ‚Um Himmels Willen, willst du, dass alle zwei Stunden eine neue Busladung voller Touristen an seinem Grab steht?‘“
Am 5. Juli, einem Montag, erhält Doors-Manager Bill Siddons einen Anruf aus dem Londoner Büro der Plattenfirma Elektra. Clive Selwood berichtet ihm, dass drei Journalisten telefonisch angefragt hätten, ob Jim Morrison tatsächlich tot sei. Siddons versucht sechs Stunden lang, Pam zu erreichen.
dass Jim noch leben würde. Was Siddons natürlich für blanken Unsinn hält: „Wir beerdigten Jim am Mittwochmorgen, dem 7. Juli 1971. Seine Leiche wurde von der Wohnung zum Friedhof gebracht, ich folgte mit Pam und der Assistentin Robin Wertle. Ronay und Varda kamen separat.“
Außerdem vor Ort: vier bestellte Sargträger. „Wir fühlten uns alle erschöpft, doch es war eine nette, kleine Abschiedszeremonie. Pam sagte ein paar Sätze, ich erinnere mich aber nicht mehr genau an den Wortlaut. Was aus Robin geworden ist, weiß ich nicht. Ich habe seit 20 Jahren nicht mehr mit ihr gesprochen. Sie wollte mit dem ganzen Rummel um Morrison nie etwas zu tun haben. Sie hatte Jim und Pam gute Dienste geleistet und Haltung bewiesen. Ich habe eine hohe Meinung von Robin.“ Niemand von der Doors-Besetzung und von der Plattenfirma Elektra wurde zur Beerdigung eingeladen. „Das war keine bewusste Entscheidung“, wie Siddons beteuert. „Wir – vor allem ich – wollten die Bestattung möglichst unauffällig über die Bühne bringen. Ich hatte gesehen, was bei Jimi Hendrix und Janis Joplin abging. Jim wurde mit jenem Respekt beerdigt, den er als großer Künstler verdiente!“
Zurück in Los Angeles, ruft Siddons die verbliebenen Doors-Mitglieder an. „In gewisser Weise war ich überhaupt nicht überrascht“, erinnert sich Keyboarder Ray Manzarek. „Als ich von seinem Tod hörte, dachte ich: ‚So ist das eben. Man soll eine Kerze nicht an beiden Enden anzünden.‘ Ich rechnete damit, dass seine Exzesse ihn irgendwann ins Grab bringen würden. Natürlich waren wir traurig und alle völlig am Ende. Schon am nächsten Tag gingen wir ins Studio, um zu arbeiten. Wir brauchten diese Geborgenheit. Es war, als wäre mein Bruder gestorben.“
James Douglas Morrisons letztes Notizbuch enthielt die erschütternde Botschaft: „Letzte Worte, letzte Worte. Aus.“ Und diese schaurige Selbsteinschätzung: „Bedauern für verschwendete Nächte & verschwendete Jahre – ich pisste es alles fort – amerikanische Musik.“
Paris, am 3. Juli 1971. Es war Jim Morrisons letzte Reise ins Unbekannte.
gut geschilderte Story. Sehr spannend zu lesen. So detailliert beschrieben, dass man sich jede Szene in seiner Phantasie erstaunlich plastisch vorstellen kann. Zugleich hoher Unterhaltungswert. Was will man mehr???
Ein sehr ausführlicher und interessant geschriebener Artikel über diesen herausragenden Künstler der 60er und die bis heute ungeklärten Begleitumstände seines viel zu frühen Todes. Danke an den Autoren.
o o seine Seele möchte ich aber nicht haben..
Ist der Körper Jim’s beerdigt?
Könnte eine Exhumierung und Untersuching des Körpers heutzutage eine Aufklärung bringen? Immerhin war Morrison in seinem Todesjahr 1971 im Februar erst aus dem Hotelfenster Chateau Marmont LA gefallen ein evtl. Rippenbruch hätte irgendwann Atemnot verursacht unter der Morrison in Paris bis in den Juli 1971 litt (daran verstarb??)!!
Eine gut erzählte Geschichte, mit einem Tragischen Ende! Die Biografie von Daniel Sugarman und Jerry Hopkins (No One Here Gets Out Alive) erzählen noch eine andere Geschichte, Jim hatte nämlich Angst vor Heroin und Spitzen, seine Droge war Kokain! Jim war ein schwerer Trinker, was Dichter halt so machen. Sein Tod ist vielmehr ein tragischer Unfall gewesen,das er wahrscheinlich Heroin in seinem alkoholisiertem Zustand zu sich genommen hat. Die Legende sagt aber auch, als die Doors Anfang 1967 im Fillmore in San Francisco auftraten, und noch immer keinen Hit hatten, schlug Jim der Plattenfirma vor, durch einen fingierten Todesfall landesweit das Interesse auf die Band zu lenken!