VI. DIE VERSCHLOSSENE TÜR
Die beiden Männer sind offensichtlich Dealer, die mit Jean de Breteuil zusammenarbeiten. Ihre Spitznamen: „der Chinese“ und „der kleine Robert“. Später am Abend wird Bernett von einer Garderobenfrau aus dem ersten Stock alarmiert: „Sie sorgte sich, denn die Toilettentür war seit Ewigkeiten verschlossen. Einige Gäste beklagten sich bereits, da sie nicht aufs Klo konnten. Sie hatten geklopft: ‚Ist irgendjemand da drin?‘ Keine Antwort. Also versuchte ich es auch noch einmal. Wieder keine Antwort. Dass Jim hinter der Tür saß, wusste ich nicht. Ich benachrichtigte unseren Sicherheitsbediensteten, der die Tür aufbrach, und dahinter fanden wir Jim. Er saß auf dem Klo, die Hosen leicht heruntergelassen, und zeigte keinerlei Reaktion. Der Kopf war vornüber gebeugt, die Arme hingen herab – eigentlich sah er wie eine Leiche aus. Ich schüttelte ihn, sah in sein Gesicht. Noch immer keine Reaktion. Er hatte Schaum an seiner Nase und auf seinen Lippen. Ich sagte der Garderobenfrau, sie solle einen Arzt holen. Im Club war ein Doktor, ein Stammgast, mit dem ich befreundet war. Er kam, untersuchte ihn kurz, schaute mich an und sagte: ‚Der Typ ist tot‘.“
Bernett will den Notarzt alarmieren, doch plötzlich sind die beiden Dealer wieder da: „Der ist nicht tot, nur abgefuckt“, sagen sie, „kein Grund, die Polizei und seine Familie zu benachrichtigen. Wir bringen ihn nach Hause. Wir wissen, wo er wohnt.“ Bernett widerspricht: „Das ist unmöglich, wir müssen die Polizei und den Notarzt holen“. Die Dealer bleiben hart: „Nein, vergiss es. Wir nehmen ihn mit, und zwar durch die Hintertür.“ Jetzt taucht auch noch die rechte Hand des Clubbesitzers auf: „Kein Ärger! Keine Polizei! Wir wollen keinen Skandal, sonst machen sie uns den Laden dicht!“ Bernett versucht es erneut, sagt: „Das könnt ihr doch nicht machen“, doch er hat keine Chance: „Ich bin der Boss, und du tust, was ich sage.“
Die beiden Dealer packen Morrison, schleifen ihn durch den Club und das angrenzende, um diese Zeit fast leere „Alcazar“, schaffen ihn dann durch die Hintertür. Anschließend bringen sie ihn nach Hause, wie Bernett später erfährt: „Sie legten ihn in die Badewanne und warteten anderthalb Stunden, bevor sie den Notarzt riefen. Pamela drehte völlig durch, schrie herum. Sie war total stoned.“
Als 2007 Bernetts Buch „The End – Jim Morrison“ erscheint, wird es außerhalb Frankreichs eher skeptisch aufgenommen. Doch im Interview mit CLASSIC ROCK bestätigt Barmann Patrick Chauvel – heute ein preisgekrönter Kriegsfotograf – Bernetts Version. „Jean-Marie Riviere, der Chef des ‚Alcazar‘ und König der Pariser Nachtclubszene, war darin verwickelt. Er sprach mit mehreren Leuten über den Vorfall, unter anderem auch mit mir: ‚Wir haben hier ein Problem.‘ Um’s kurz zu machen: Wir mussten Morrison aus dem Club schaffen, sonst hätten die Behörden den Laden dicht gemacht.“
Als Angestellter des Clubs hatte Chauvel kaum eine andere Wahl. Er musste tun, was von ihm verlangt wurde. „Ob ich Angst hatte? Hmh… Der Tod dieses großartigen Menschen war furchtbar. Niemand wusste, was los war – außer uns paar Leuten. Keiner wollte viel Aufsehen erregen. Es war eine peinliche Situation, und deshalb schleppten wir ihn durch den Gang, der die Garderoben des Circus und des Alcazar miteinander verband, und dann die Treppe hoch zur Hintertür. Der Boss hatte Angst, ein Arzt könnte plaudern. Wir setzten Morrison ins Auto – et voilà!“
Hat Chauvel dabei geholfen? „Ja, ich half mit, ihn in einer Decke wegzutragen. Ich kann nicht zu 100 Prozent sagen, dass er tot war, aber er bewegte sich nicht mehr, das weiß ich ganz genau. Ich dachte mir: ‚Wie bizarr!‘ Aber ich war damals gerade aus Vietnam zurückgekehrt, wo ich eine Menge seltsamer Dinge gesehen hatte. Wie dem auch sei: Er wurde jedenfalls auf den Rücksitz eines Mercedes gepackt. Keine Ahnung, wer den Wagen fuhr. Sie brachten ihn nach Hause, zumindest sagten sie das.“
Sah er den Wagen wegfahren? „Nein, ich half beim Tragen und kehrte dann in den Club zurück. Alles sollte so normal wie möglich aussehen. Ich erinnere mich, dass er ganz vorsichtig behandelt wurde, weshalb ich dachte, dass er womöglich noch lebt.“
Was war mit Jim überhaupt geschehen? „Ich hörte, dass sein Stamm-Dealer verschwunden war, inhaftiert oder was auch immer. Deshalb ließ sich Morrison auf einen neuen Lieferanten ein, und dessen Heroin war völlig anders. Es war von wesentlich größerer Reinheit, was Jim aber nicht wusste. Also verpasste er sich eine Überdosis.“
Sollte diese Version der Geschichte korrekt sein – woran in Paris kaum jemand zweifelt –, dann ist Pamela Coursons Aussage zwangsläufig reine Fiktion. Chauvel erinnert sich sogar an die Leute, die damals halfen, Jim aus dem Club zu schaffen: „Die meisten von ihnen kannte ich nur vom Sehen her, aber an einen entsinne ich mich genau. Sein Name war Dominique Petrolaci, ein Korse. Er war der Chef-Barkeeper, ein guter Freund, der mir den Job besorgt hatte. Kurze Zeit später erschoss er sich auf einer Party, steckte den Lauf in den Mund und drückte ab, vor allen Leuten.“
Zu Jims Tod kursieren seit damals zahllose Theorien. Während der Recherche zu dieser Geschichte erwähnte eine Quelle, dass Pamela gar nicht in der Wohnung war, sondern die Nacht mit einem „extrem prominenten“ Franzosen verbrachte. Doch Jean de Breteuil wurde in der entsprechenden Zeit woanders gesichtet. In ihrer Autobiografie berichtet Marianne Faithfull, dass Pamela den Grafen gegen 6:00 Uhr morgens anrief: „Wir wohnten im L’Hotel. Plötzlich musste Jean verschwinden. Er rannte hinaus, die Tür krachte ins Schloss. Er kam nicht sofort wieder, sondern erst später. Er zwar ziemlich aufgebracht. Ich war total stoned von den Tuinal-Tabletten, und er verprügelte mich grundlos. Ich fragte ihn, ob er eine gute Zeit gehabt hätte, und er antwortete: ‚Pack deine Sachen, wir gehen nach Marokko‘.“ Laut Faithfull war der Graf „zu Tode erschrocken. Jim Morrison hatte überdosiert, und zwar mit seinem Heroin. Er betrachtete sich selbst ja als Geschäftspartner der Stars, aber jetzt war er ein kleiner Dealer mit einem großen Problem. Er nahm mich mit nach Tanger. Es war die reinste Kata-strophe, und wir haben uns fürchterlich zugedröhnt.“ Zu allem Überfluss prahlt er auch noch damit herum, dass er es gewesen sei, der Janis Joplin die finale Dosis Heroin verkauft hatte, die ihr im Oktober 1970 zum Verhängnis geworden war.
Noch am Samstag, dem 3. Juli, treffen Jean und Marianne in Marrakesch ein. Das Paar residiert bei seiner Mutter im Jet-Set-Exil „Villa Taylor“. Mit dabei: Der Musikwissenschaftler Roger Steffens, der mit der Gräfin zu Abend isst. Die außergewöhnlichen Vorkommnisse notiert er in einem Brief an seine Familie, datiert vom 9. Juli 1971: „Jean, der gut aussehende 21-jährige Sohn der Gräfin, tauchte letzten Samstag unerwartet auf. Ein Jet-Set-Playboy, der ab diesem November den Titel seines verstorbenen Vaters tragen wird. Er und seine Begleitung haben in Paris zwei furchtbare Tage durchgemacht. Zunächst erlitten sie einen Autounfall, danach wollte sich einer von Jeans besten Freunden die Pulsadern aufschneiden, und schließlich erhielt er von seiner alten Freundin Pamela Courson, die in Paris mit ihrem Ehemann (!), dem Doors-Sänger Jim Morrison lebt, einen Anruf. Sie bat ihn, schnell vorbeizukommen, und als er eintraf, fanden sie Morrison tot in der Badewanne, gestorben an einer Überdosis Drogen. All das war wohl etwas zu viel, weshalb Jean und Marianne das nächste Flugzeug nach Marrakesch nahmen, um hier eine friedliche, erholsame Woche zu verbringen.“
Heute sieht das Steffens etwas differenzierter: „Jean und Marianne wirkten ziemlich high, als sie die Geschichte erzählten, sie waren sehr aufgeregt. Ich lernte ihn durch seine Mutter kennen, die Gräfin de Breteuil, zweite Ehefrau des damals bereits verstorbenen Grafen. Jean war der Liebling seiner Mutter, in Wirklichkeit aber ein verruchter Drogendealer, der einen Rattenschwanz von Katastrophen hinter sich herzog.“
Was man so sagen kann: Zu seinen Opfern zählten Talitha Getty, Pamela Courson, Jim Morrison und letztlich auch er selbst. De Breteuil starb noch 1971 in Tanger an einer massiven Heroinüberdosis. (Mehr dazu im CLASSIC ROCK-Interview mit Marianne Faithfull auf den nächsten Seiten)
gut geschilderte Story. Sehr spannend zu lesen. So detailliert beschrieben, dass man sich jede Szene in seiner Phantasie erstaunlich plastisch vorstellen kann. Zugleich hoher Unterhaltungswert. Was will man mehr???
Ein sehr ausführlicher und interessant geschriebener Artikel über diesen herausragenden Künstler der 60er und die bis heute ungeklärten Begleitumstände seines viel zu frühen Todes. Danke an den Autoren.
o o seine Seele möchte ich aber nicht haben..
Ist der Körper Jim’s beerdigt?
Könnte eine Exhumierung und Untersuching des Körpers heutzutage eine Aufklärung bringen? Immerhin war Morrison in seinem Todesjahr 1971 im Februar erst aus dem Hotelfenster Chateau Marmont LA gefallen ein evtl. Rippenbruch hätte irgendwann Atemnot verursacht unter der Morrison in Paris bis in den Juli 1971 litt (daran verstarb??)!!
Eine gut erzählte Geschichte, mit einem Tragischen Ende! Die Biografie von Daniel Sugarman und Jerry Hopkins (No One Here Gets Out Alive) erzählen noch eine andere Geschichte, Jim hatte nämlich Angst vor Heroin und Spitzen, seine Droge war Kokain! Jim war ein schwerer Trinker, was Dichter halt so machen. Sein Tod ist vielmehr ein tragischer Unfall gewesen,das er wahrscheinlich Heroin in seinem alkoholisiertem Zustand zu sich genommen hat. Die Legende sagt aber auch, als die Doors Anfang 1967 im Fillmore in San Francisco auftraten, und noch immer keinen Hit hatten, schlug Jim der Plattenfirma vor, durch einen fingierten Todesfall landesweit das Interesse auf die Band zu lenken!