II. EIN AMERIKANER IN PARIS
Dritter Stock, Rue Beautreillis 17, im Pariser Bezirk Marais: Pamela hat eine luxuriös möblierte Vierzimmerwohnung aufgetan, die dem Fotomodell und Starlet Elizabeth Lariviere gehört. Eine neue Bleibe. Morrison widmet sich der Titelgeschichte des aktuellen „Newsweek“-Magazins: „Der Krieg gegen den weißen Tod“ handelt von der Heroinflut, die Europa und Amerika gerade heimsucht. Marseille und Paris stehen dabei im Fadenkreuz. Nur wenige Tage vor Morrisons Ankunft in Paris hat Regisseur William Friedkin die Arbeiten an seinem Drogen- und Gangsterfilm „The French Connection“ beendet. Es ist kein Geheimnis: Paris wird von Heroin überschwemmt. Am schlimmsten ist es in den Rock-Clubs. In einem dieser Läden, dem „Rock’n’Roll Circus“, arbeitet der damals 21-jährige Fotograf und Teilzeit-Barkeeper Patrick Chauvel: „Ich sah Jim Morrison häufig im Club. Einmal kam er drei Nächte in Folge“, erinnert sich Chauvel, der heute noch immer in Paris lebt. „Er war selten allein da, saß aber meist ein wenig abseits der übrigen Gäste auf der Couch. Er tanzte nie. “
Chauvel glaubt allerdings nicht, dass Morrison im Club Drogen kaufte: „Ich habe nie bemerkt, dass er etwas genommen hätte. Aber er war ständig betrunken, saß dann erst ganz still da, stand dann jedoch urplötzlich auf und sagte irgendetwas. Ziemlich emotional. Man konnte es an seinen Augen sehen: Irgendetwas war ihm wichtig, er wollte es laut aussprechen, doch es kam ihm kaum über die Lippen. Er war fertig mit der Welt. Und am falschen Ort. Es kursierten viele Drogen, und es war auch eine ziemlich freizügige Zeit, Sex gab’s überall. Es herrschte aber auch viel Eifersucht, Spannung lag in der Luft. Die Nachtclub-Szene war wirklich hart, voll von Gangstern und miesen Bullen. Es gab oft Prügeleien, einmal sogar eine Schießerei vor dem Club. Ich trug damals zu meiner Sicherheit ein Bajonett. Verrückt, aber notwendig. Es gab dieses Dreieck von Clubs: Der „Rock’n’Roll Circus“ und damit zusammenhängende „L’Alcazar“, außerdem „La Bulle“ und „Le Sherwood“, alle in der gleichen Gegend. Und alle ziemlich finster.“
Morrison führt ein Doppelleben: Tagsüber ist er Poet, nachts knallt er sich die Birne voll. Sein Umzug nach Paris hat ihn also nicht unbedingt befreit. Zwei Wochen lang teilt er sich schon mit Pamela Elizabeth Larivieres Apartment, und seine gesundheitlichen Probleme nehmen immer mehr zu. Er laboriert an einer verschleppten Lungenentzündung, wirkt zu-nehmend asthmatisch. Zudem leidet er unter chronischem Schluckauf. Um der Feuchtigkeit in Paris zu entkommen, entscheidet sich das Paar zu einem Abstecher in den Süden. Im April 1971 reisen Jim und Pamela nach Toulouse und weiter nach Andorra, Madrid, Granada und setzen schließlich nach Marokko über. Als sie am 3. Mai nach Paris zurückkehren, wirkt Morrison glücklich und aufgeräumt, er hat abgenommen und fühlt sich wohl.
Doch die gute Laune hält nicht lange an. Jim ist häufig allein in der Wohnung, seitdem sich Pamela und der Graf wieder häufiger sehen. Er macht sich auf die Suche nach neuen Freunden, besucht regelmäßig den „Rock’n’Roll Circus“ und „L’Alcazar“, wo so gut wie alle Rocker ab-steigen, die gerade in der Stadt sind: die Rolling Stones etwa, Jimi Hendrix und Led Zeppelin. Morrison hängt mehr oder minder unerkannt an der Bar ab, eine Flasche Wodka ist das Minimum.
III. NEUE BEKANNTSCHAFTEN
Am 7. Mai lernt Morrison vor dem „Circus“ Gilles Yepremian kennen. Der Sänger ist gerade von Mitarbeitern des Clubs vor die Tür gesetzt worden, da er nach zahllosen Whiskeys die Einrichtung umgestalten wollte. „Er war total besoffen“, erinnert sich Yepremian, „also besorgte ich ein Taxi. Wir fuhren die Seine entlang, als Jim an einer Ampel ein paar Polizisten entdeckte. Er kurbelte das Fenster runter und brüllte: ‚Fuck The Pigs!‘, weshalb uns der Fahrer rausschmiss. Ich stoppte ein weiteres Taxi, und Jim war so zufrieden mit der Leistung des Fahrers, dass er ihm ein paar hundert Francs Trinkgeld geben wollte. Er lachte völlig überdreht. Da ich nicht wusste, wo er wohnte, brachte ich ihn zu meinem Freund Hervé Muller.“
Als Muller und seine Freundin Yvonne Fuka die Tür öffnen, taumelt ihnen Jim Morrison entgegen. Er wirft sich auf Mullers Bett und verliert sofort das Bewusstsein. Muller und Fuka lassen ihn ausschlafen. Am folgenden Nachmittag lädt Morrison seine neuen Freunde in die „Alexander“-Bar ein, wo er ein paar Bloody Marys und eine ganze Flasche Chivas Regal wegkippt. Er beginnt, andere Gäste zu beleidigen und benimmt sich völlig daneben. „Wenn er nüchtern war“, so Gilles Yepremian, „wirkte er wie ein amerikanischer Student auf Semesterferien, eher still und schüchtern. Sobald er getrunken hatte, verwandelte er sich in einen Berserker.“
Muller lädt Jim und Pamela zu sich nach Hause zum Essen ein, sie trinken korsischen Wein. Der begeistert das Paar derart, dass es spontan beschließt, nach Korsika zu fahren. Die Reise führt über Marseille, wo Jim seine Brieftasche mitsamt Pass verliert. Sie warten zwei Tage lang auf Ersatzdokumente, fliegen dann weiter nach Ajaccio. Wieder in Paris, wohnen sie kurz im L’Hotel in der Rue des Beaux-Arts, ein damals angesagtes Etablissement, in dem auch Mick Jagger bisweilen nächtigt, bevor sie in ihr Apartment zurückkehren. Pamela hat zwischenzeitlich die 19-jährige Franko-Kanadierin Robin Wertle eingestellt. „Weder Jim noch Pamela sprachen französisch“, erinnert sich die damalige Assistentin, „weshalb ich mich um alles mögliche kümmern musste. Ich besorgte eine Putzfrau, tippte Briefe, telefonierte mit Amerika, kaufte Möbel und besorgte eine Schreibmaschine für Jim. Außerdem sollte ich Vorführungen seiner Filme organisieren.“ Die allerdings nie zu Stande kommen.
Ende Mai ruft Morrison John Densmore an, er ist ganz begeistert vom neuen Album L.A. WOMAN. „Er hatte gerade erst die fertige Platte gehört“, erinnert sich Densmore, „doch Jim erzählte mir vor allem, wie großartig Paris sei. Er meinte, dass er dennoch nach L.A. zurückkehren würde, wusste allerdings noch nicht wann. Er lobte die Band und klang wesentlich glücklicher als vor seiner Abreise.“
Morrison erneuert kurz darauf seine Bekanntschaft mit Jacques Demy und dessen Frau Agnes Varda, zwei Vorreitern des neuen französischen Kinos. „Wir hatten einen gemeinsamen Freund, Alain Ronay“, erinnert sich Varda, die über ihre Bekanntschaft mit Morrison nur selten spricht. „Wir trafen die Doors erstmals 1967 in Los Angeles, als Jacques den Film ‚The Model Shop‘ drehte. 1969 besuchte er uns dann bei den Dreharbeiten zu meinem Film ‚Lions Love‘, in dem er sogar kurz zu sehen ist.“ Alain Ronay kennt Morrison bereits seit 1964, sie treffen sich an der UCLA (University of California) beim Filmstudium. Während Jims erstem Paris-Besuch besuchen die beiden eine Party in Vardas Haus. „Ich glaube, er mochte uns,“ resümiert Agnes Varda, „denn wir wollten nie etwas von ihm. Er besuchte uns häufig zum Essen, saß stundenlang in meinem Hinterhof, redete nicht viel. Er mochte keinen Klatsch und Tratsch. Er war in Paris, um Gedichte zu schreiben. Er saß dann in meiner Küche und schrieb, ich ließ ihn in Ruhe. Er störte mich nie, und auch wenn es heute heißt, er sei damals komplett daneben gewesen – ich fand ihn okay.“
Im Juni fliegen Jim und Pam nach London, wo sie im verhassten „Hyde Park Hotel“ wohnen. Pamela frischt ihre Liaison mit dem Grafen ein weiteres Mal auf – und der hat den Schlüssel zu Keith Richards’ und Anita Pallenbergs Haus im Cheyne Walk, wo das Heroin kräftig fließt. Richards ist währenddessen schon in Südfrankreich, wo die Aufnahmen zu EXILE ON MAIN ST. beginnen. Der unstete Graf wechselt zwischen Pamela, Jean Paul Getty Juniors Ehefrau Talitha und Marianne Faithfull hin und her. Letztere findet Jahre später in ihrer Autobiografie wenig schmeichelhafte Worte für ihn. De Breteuil war „ein furchtbarer Kerl, ein Typ, der unter einem Stein hervorgekrochen zu sein schien. Irgendwie endete ich dennoch bei ihm. Es ging nur noch um Drogen und Sex.“
Morrison lädt Alain Ronay nach London ein. „Als ich eintraf“, so Ronay, der heute in Los Angeles lebt, „empfahl ich ihnen zunächst ein anderes Hotel, das ,Cadogan‘. Wir hatten eine glückliche Zeit, es gab keine Paparrazzi, keine Autogrammjäger. Wir gingen ins Theater, taten ganz normale Dinge. Nach unserer Rückkehr nach Paris zog ich in ihre Wohnung ein, denn Pamela führte ihr eigenes Leben und war nur selten da. Den ganzen Juni hindurch wohnte ich mit Jim Morrison zusammen, sah ihn praktisch 24 Stunden am Tag. Ich will nicht abstreiten, dass Jim eine dunkle, komplizierte Persönlichkeit hatte und Pamela ein hoffnungsloser Fall war, aber trotz seiner Verzagtheit, seiner Drogensucht und den Depressionen lebte er damals seinen Traum. Denn der hatte mit Rock’n’Roll nichts zu tun. Er freute sich zwar sehr über den Erfolg von L.A. WOMAN, aber Glück suchte er in anderen Bereich der Kunst.“
Dennoch scheint Morrison unter Musik-Entzugserscheinungen zu leiden, denn am 15. Juni hängt er sich – nach einigen Whiskeys im „Café de Flore“ – an zwei amerikanische Straßenmusiker. Er überredet die beiden, die ansonsten ›Marrakesh Express‹ von Crosby, Stills, Nash & Young hinrichten, zu Aufnahmen in einem nahegelegenen Demo-Studio. Das Trio nimmt ein paar alkoholgeschwängerte Nummern auf, darunter auch ›Orange County Suite‹, Morrisons poetische Ode an Pamela. Der Toningenieur händigt Morrison eine Schachtel mit dem Tonband aus, auf dem Deckel steht ein hingekritzelter Bandname: Jomo And The Smoothies. Die „Lost Paris Tapes“, als die sie später in die Geschichte eingehen, enden in einer weißen Plastiktüte des Kaufhauses „La Samaritaine“. Morrison vergisst sie in der Wohnung eines gewissen Phil Dalecky – und holt sie nie wieder ab.
Etwa zur selben Zeit, Paris leidet unter einer Hitzewelle, sammelt Morrison im Hinterhof des Apartments Brennholz für den Kamin. Gemeinsam mit Ronay trägt er die Beute nach oben, kommt aber rasch außer Atem. „Was ist los mit dir?“, fragt Ronay, „ich bin zehn Jahre älter als du und habe keine Probleme.“ Morrison lacht verlegen, er schwitzt stark. Kurz zuvor hat er begonnen, Blut zu husten, weshalb er auf Pamelas Anweisung hin einen amerikanischen Arzt konsultiert. Der verschreibt ihm Medikamente gegen seine verschleppte Lungenentzündung und die damit verbundenen Atemprobleme.
gut geschilderte Story. Sehr spannend zu lesen. So detailliert beschrieben, dass man sich jede Szene in seiner Phantasie erstaunlich plastisch vorstellen kann. Zugleich hoher Unterhaltungswert. Was will man mehr???
Ein sehr ausführlicher und interessant geschriebener Artikel über diesen herausragenden Künstler der 60er und die bis heute ungeklärten Begleitumstände seines viel zu frühen Todes. Danke an den Autoren.
o o seine Seele möchte ich aber nicht haben..
Ist der Körper Jim’s beerdigt?
Könnte eine Exhumierung und Untersuching des Körpers heutzutage eine Aufklärung bringen? Immerhin war Morrison in seinem Todesjahr 1971 im Februar erst aus dem Hotelfenster Chateau Marmont LA gefallen ein evtl. Rippenbruch hätte irgendwann Atemnot verursacht unter der Morrison in Paris bis in den Juli 1971 litt (daran verstarb??)!!
Eine gut erzählte Geschichte, mit einem Tragischen Ende! Die Biografie von Daniel Sugarman und Jerry Hopkins (No One Here Gets Out Alive) erzählen noch eine andere Geschichte, Jim hatte nämlich Angst vor Heroin und Spitzen, seine Droge war Kokain! Jim war ein schwerer Trinker, was Dichter halt so machen. Sein Tod ist vielmehr ein tragischer Unfall gewesen,das er wahrscheinlich Heroin in seinem alkoholisiertem Zustand zu sich genommen hat. Die Legende sagt aber auch, als die Doors Anfang 1967 im Fillmore in San Francisco auftraten, und noch immer keinen Hit hatten, schlug Jim der Plattenfirma vor, durch einen fingierten Todesfall landesweit das Interesse auf die Band zu lenken!