Als die gewachsene Familie Zappa 1968 zurück nach Los Angeles kam, bedurfte es keiner großen Anstrengungen mehr, radikal anders zu sein. Frank und Gail mieteten für 700 Dollar im Monat ein Holzhaus in Laurely Canyon, das einst Tom Mix gehört hatte, einem Cowboy-Filmstar aus den 20ern. Frank taufte es „Freak Central“. Die heruntergekommene, zugewachsene Halbwildnis des Canyons war seit einigen Jahren durch Musiker völlig umgekrempelt worden, die billige Orte zum Abhängen und Highwerden suchten, und um ihre Musik unter Strelitzien und einem Dickicht aus Pfefferbäumen und Pinien zu spielen.
Hier erreichte die Zappa-Mythologie, die in New York entstanden war, ein neues, unglaublich abgedrehtes Niveau. Besuche des Rock-Adels waren an der Tagesordnung. Mick Jagger und Marianne Faithfull kamen vorbei, noch am selben Abend gefolgt von Mitgliedern von The Who und noch später von Captain Beefheart, Zappas altem Schulfreund Don Van Vliet. Sie beendeten den Abend mit einem Jam auf ›Be Bop A Lula‹. (Beefheart beklagte, dass Jagger ihm ein stummes Mikro gegeben hatte, um nicht stimmlich übertroffen zu werden) Eric Clapton schneite am nächsten Abend rein, aber Frank war nicht sehr beeindruckt von ihm, weil er „kein Typ zum Jammen war“.
Auch Jefferson-Airplane-Sängerin Grace Slick besuchte das Holzhaus. In ihrer Autobiografie beschreibt sie es als „ein Königreich der Trolle. Frauen mit struppigem Haar räkelten sich in langen, antiken Kleidern und nackte Kinder rannten hin und her, während Frank hinter Bergen von elektrischem Equipment saß und seine neuesten Ideen zur Orchestrierung satirischer Hippie-Rockmusik erörterte – und sich offen über die Gegenkultur lustig machte, die er doch unterstützte.“
Dann waren da die Möchtergerns und Hoffnungsvollen. Als Larry Fischer, ein 24-jähriger Ausreißer aus der Psychiatrie, der mit 16 eingesperrt worden war, weil er versucht hatte, seine Mutter zu erstechen, aufkreuzte, um Frank ein Lied vorzusingen, nahm Zappa ihn bei seinem neuen Label Bizarre unter Vertrag und nahm ein Doppelalbum mit ihm auf, AN EVENING WITH WILD MAN FISCHER. Zappa blieb weiterhin Fischers Mentor (was als „etwas nicht rein Musikalisches“ beschrieben wurde) – bis der ein Glasgefäß nach Moon warf und Gail ein Veto einlegte. Fischer wurde für immer verbannt. Mehr Glück und Erfolg hatte Zappa mit einem anderen Signing auf Bizarre: der Alice Cooper Band, einem Haufen von Halunken, die Frauenkleider trugen und Lieder wie ›Earwigs To Eternity‹ und ›B.B. On Mars‹ sangen.
„Ich hatte Zappa im Club Thee Experience in L.A. spielen gesehen“, erinnert sich Alice heute. „An einem Abend jammten Eric Clapton, Mike Bloomfield und Jimi Hendrix. Alle zusammen. Dann stand Frank auf und imitierte jeden Einzelnen von ihnen! Dann hob er ab und fing an, seine eigenen Riffs zu spielen, und diese anderen Typen standen einfach nur da und dachten, ‚Wie bitte?!‘ Denn dieser Typ tat Dinge, die sie nie zuvor gesehen hatten. Sogar Jimi Hendrix. Frank gab Hendrix sein erstes Wah-Wah-Pedal und zeigte ihm, was das war.“
Als einer der Stammgäste im Holzhaus Frank von einer Band erzählte, die jede Plattenfirma in L.A. abgelehnt hatte, wollte er sie sehen. Am nächsten Morgen um sieben standen sie in seinem Vorgarten und spielten ihr seltsam unschönes Set. „Wir hatten uns in der Zeit vertan. Wir hatten gehört, dass er uns um sieben dort haben wollte, und wir dachten, er meint morgens“, so Alice. „Aber wir spielten fünf Stücke, die zwei Minuten lang waren mit 25 Wechseln, und er saß da und hörte zu. Dann sah er mich an und sagte: ‚Ich versteh’s nicht. Ich verstehe nicht, was ihr das gerade getan habt.‘ Und dann spielten wir noch ein Stück für ihn, mit demselben Ergebnis. Und dann noch eins und noch eins. Sie waren, als würdest du eine Prog-Nummer von ELP nehmen und sie auf zwei Minuten eindampfen. Und er sagte nur immer wieder: ‚Ich…verstehe…das…nicht!‘ Ich sagte: ‚Ist das schlecht?‘ Er sagte: ‚Nein. Die Tatsache, dass ich es nicht verstehe, ist der Grund, dass ich euch unter Vertrag nehme.’“
Am berüchtigtsten von allen waren wohl The GTOs, eine Band von Teenager-Groupies, die Frank unter seine Fittiche nahm. Sie nannten sich ursprünglich Laurel Canyon Ballet Company, bis zu dem Abend, als sie im Holzhaus auftauchten, nackt bis auf Lätzchen und riesige Windeln, das Haar in Pferdeschwänzen gebunden und sämtlich mit Lollis im Mund. Frank war begeistert und bestand darauf, dass sie noch am selben Abend mit den Mothers auf der Bühne tanzen. Und dass sie ihren Namen in The GTOs ändern. GTO stand für viele Dinge: Girls Together Outrageously, Girls Together Only, Girls Together Occasionally, Girls Together Often und alle möglichen ähnlichen Akronyme. „Die GTOs verkleideten sich jeden Abend, um tanzen zu gehen, denn in der Gruppe waren sie stärker“, so Gail Zappa. „Sie trugen diese ziemlich wilden Outfits und kamen auch umsonst ins Whisky [A Go Go], damit sie tanzen konnten. Denn für eine Weile waren sie das Unterhaltungsprogramm.“
Die GTOs bestanden aus Miss Cinderella, Miss Christine, Miss Pamela, Miss Mercy und Miss Lucy (plus zu verschiedenen Zeiten Miss Sandra und/oder Sparky). Nachdem sie sich bei mehreren Mothers-Of-Invention-Shows als Tänzerinnen und/oder Backing-Sängerinnen bewiesen hatten, zahlte Zappa ihnen ab November 1968 einen Wochenlohn von je 35 Dollar. „Die Leute standen einfach auf sie“, erinnert sich Alice Cooper. „Sie waren der Hammer.“
Als Zappa 1969 ihr einziges Album PERMANENT DAMAGE produzierte, ließ er Rod Stewart auf dem Stück ›The Ghost Chained To The Past, Present, And Future (Shock Treatment)‹ singen. Auch Jeff Beck und Nicky Hopkins waren auf der Platte zu hören, dirigiert von Frank.
Und brachte dieser Job Frank irgendwelche „Bonusleistungen“ ein? Pauline Butcher besteht darauf, dass nichts passierte. „Er hatte kein Interesse an den GTOs als Groupies“, sagt sie. „Er war überhaupt kein Schürzenjäger. Er fiel über niemanden her. Er kam nicht als dieser schmutzige alte Kerl rüber. So war er nicht. Er war viel zu entspannt.“
Und wieso sollte er auch, wenn er und die Mothers bei jedem Auftritt von Groupies umlagert wurden? Doch Butcher nimmt ihn wieder in Schutz. „Er hatte diese Frauen auf Tour nur, weil er so eine starke Libido hatte und wohl einfach irgendwie Sex brauchte.“ Doch Fakt ist nun mal, dass Zappa mehr Stücke über Groupies und Sex im Allgemeinen geschrieben hat – unklusive aufgezeichneter Gespräche mit Groupies, die ihre diversen Eroberungen nacherzählten – als irgendein Künstler vor ihm oder seitdem.
Als Zappa einmal in London spielte, hatte Pauline, die in L.A. geblieben war, für eine Freundin Karten für das Konzert besorgt. „Sie ging hinterher in den Club, wo er war“, erinnert sie sich. „Und Frank sagte zu ihr: ‚Ich bin auf der Suche nach einem Fick. Bist du verfügbar?‘ Sie sagte: ‚Nein, ich bin verheiratet.‘ Und er sagte: ‚Nun, macht das irgendeinen Unterschied?‘ Er wurde sehr missmutig, wenn er keine Groupies bekam. Und dann musste Gail zu ihm fliegen und das Problem lösen.“
Dennoch bestehen sowohl Gail Zappa als auch Pauline Butcher darauf, dass er zu Hause ein anderer Mann war. In persönlichen wie professionellen Beziehungen zu Frauen konnte Zappa ein echter Förderer und sogar eine Inspiration sein. „Das Wichtigste war, dass er sich anhörte, was ich zu sagen hatte“, so Butcher. „Das war 1967, 1968 eine Revolution für mich. Es war für mich so ungewohnt, dass er zuhörte und erstnahm, was eine Frau zu sagen hatte. Er behandelte mich wie eine Ebenbürtige. Was außerordentlich war.“
Darin war sie allerdings die Ausnahme, denn ab diesem Zeitpunkt behandelte Zappa selten jemand, falls überhaupt, als ebenbürtig. Als er im Sommer 1969 HOT RATS aufnahm, offiziell sein zweites Soloalbum, war die Verwandlung abgeschlossen. Frank Zappa WAR die Mothers, und die Mothers waren was auch immer Frank wollte, dass sie waren. In diesem Fall bedeutete das eine Sammlung von jazzigem, orchestralem Rock mit einer Extraportion postpsychedelischer Verrohung. Der Opener ›Peaches En Regalia‹ wurde trotz seiner komplexen Komposition umgehend das Zappa-Stück mit dem höchsten Wiedererkennungswert seiner Karriere – das ›All Right Now‹ der Generation Freak. Auf ›Willie The Pimp‹ fanden sich typische Zappa-Außenseiter wie Captain Beefheart am Mikro und Don „Sugarcane“ Harris – kurz zuvor nach einer weiteren Verhaftung wegen Drogen von Zappa per Kaution aus dem Knast geholt – an der Geige. ›Willie…‹ sollte auch zum echten Publikumsliebling werden – ein unwahrscheinlicher Begriff in diesem Kontext, aber doch wahr. Der Geiger Jean Luc Ponty ist auf ›It Must Be A Camel‹ zu hören, und auch ein junger Lowell George taucht auf, wenn auch ohne namentliche Erwähnung.
Das Album schaffte es in den USA zwar nicht mal in die Top 100, wurde aber in Großbritannien sein einziger Top-10-Hit und weltweit einer seiner Bestseller. Nicht, dass Frank das einen feuchten Dreck interessiert hätte. Oder wenigstens sagte er, dass es das nicht tat. Nur Wochen nach der Veröffentlichung hatte er die Mothers offiziell aufgelöst.
Pauline Butcher sagt, schon am ersten Abend, als sie im Mai 1968 im Holzhaus ankam, „erzählte er mir, dass er die Mothers auflösen wollte. Über die gesamte Zeit der Band sagte er das. Etwa einen Monat später gab es wieder eine Krise und er wollte sie auflösen. Und dann sagte Ian Underwood, dass er mit der Band proben würde. Das war der Anfang von Franks lebenslanger Angewohnheit, immer jemand anderen mit der Band proben und sie ihre Parts lernen zu lassen, bevor er zu ihnen stieß, denn er hatte nicht die Geduld dafür.“
Zappa selbst formulierte es weniger diplomatisch: „Wie lang kann man seine Begeisterung über Musik als Kunstform, geschweige denn Musik als ein Geschäft, aufrecht erhalten, wenn sie andere Menschen involviert, auf die man sich verlassen muss und die dir dann auf die Schuhe pissen? Wieso muss man sich damit abgeben? Je mehr ich mich auf mich selbst verlassen kann, desto besser gefällt es mir.“
franck zappa the great
zappa the best
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