Mit Superlativen ist es ja so eine Sache, doch dieses Zitat stammt von Lemmy Kilmister. Und wer sind wir, an seinem Urteil zu zweifeln? Über 60 Jahre nach dem Urknall der Beatlemania ergibt es jedenfalls Sinn, auf das Phänomen The Beatles ein wenig genauer zurückzublicken. Denn in einem Punkt gibt es keine zwei Meinungen: Sie waren die wichtigste Band der Rockgeschichte. Der Ausgangspunkt für alles, was wir lieben.
Lemmy Kilmister war ein weiser Mann. In der nach ihm benannten Filmbiografie von Wes Orshoski und Greg Olliver, lässt die Rock’n’Roll-Ikone mit dem Doppelfibrom einen denkwürdigen Satz fallen: „Die Beatles waren die beste Band aller Zeiten.“ Eine Erkenntnis, zu der er gelang, nachdem er extra nach Liverpool getrampt war, um die damals brandheiße Band im „Cavern Club“ zu hören. Die Mädels aus seinem Heimatkaff hatten ihm den Tipp dazu gegeben, denn die standen plötzlich nicht mehr auf Billy Fury, einen der zahlreichen britischen Elvis-Klone, sondern eben auf The Beatles. Jung-Lemmy war schwer beeindruckt.
Nun mögen Motörhead und die Fab Four auf den ersten Blick nicht allzu viele Gemeinsamkeiten besitzen, doch dieser erste Blick täuscht gewaltig. Denn die Pioniertat der Beatles bestand ja nun mal nicht darin, Rock’n’Roll zu spielen, das hatten bereits andere vor ihnen getan. Neu war allerdings, dass sie eben nicht Johnny Moondog & The Liverpool Three hießen, wie das um 1960 noch üblich war: Ein Star in der Band, in der Regel der Sänger, ergänzt um relativ austauschbare Begleitmusiker, die sich brav im Hintergrund zu halten hatten. Wobei der Frontmann natürlich auch optisch herausstach, er trug die schicksten Klamotten, während sich der Glamourfaktor der restlichen Band bestenfalls in synchronen Tanzschritten erschöpfte. Meist plärrte dazu ein Saxophon.
Die Beatles im „Cavern Club“ waren anders. Vier Typen in Lederjacken, zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug. Kein Saxophon, kein Frontmann im Glitzerfummel – und keine albernen Tanzschrittchen. Das war nicht Elvis, der King, mit seinem Hofstaat, sondern offensichtlich eine recht demokratische Versammlung vier gleichberechtigter Musiker. Zumindest in der Außenansicht. Was gut in eine Zeit passte, in der Englands Jugend nach Emanzipation von überkommenen Traditionen trachtete und die seit Jahrhunderten festgefügte Klassengesellschaft ins Wanken brachte. Noch schwerer wog allerdings ein anderer Aspekt: Popmusiker waren bislang fast ausnahmslos vor allem eines – Interpreten. Die Musik schrieben und betexteten professionelle Songwriterteams, bisweilen wie am Fließband. Und der Produzent wählte das Lied aus, das sein Schützling zu singen hatte, weil es seiner Ansicht nach am besten zu dessen Image passte, die größten kommerziellen Chancen versprach oder weil er dem Komponisten noch einen Gefallen schuldete.
Ebenfalls ein beliebter Deal: Produzenten, womöglich bar aller kompositorischen Fähigkeiten, ließen sich im Gegenzug als Co-Autoren eintragen, um später Tantiemen zu kassieren. Mitspracherecht für Musiker? Aber nicht doch! Das Pop-Business des Jahres 1960 war nicht allzu weit von dem entfernt, was uns heute dank Casting-Shows und inszenierter Superstars geboten wird: singende und tanzende Marionetten, die schön aussehen sollten, ansonsten aber bitte die Klappe halten mögen – denn für Songauswahl und Stil, für Produktion, Imageberatung und Bühnenoutf it sind andere zuständig. Profis.
Chuck Berry, Little Richard und Buddy Holly, allesamt profunde Songwriter und frühe Idole der Beatles, waren im damaligen System die Ausnahme, nicht die Regel, und noch dazu: Amerikaner. Typen, die Lieder schreiben, Gitarre spielen und dazu singen, folgten jenseits des Atlantiks einer alten Blues/ Country-Tradition, die es in England so nicht gab. Britische Folklore war vom Rock’n’Roll deutlich weiter entfernt.
Auch in kreativer Hinsicht pflegten The Beatles einen völlig anderen Ansatz. Sie entschieden selbst, welche Stücke sie coverten. Und, noch wesentlich wichtiger: Sie schrieben eigene Songs, anfangs zaghaft, später dann sowohl qualitativ als auch quantitativ auf höchstem Niveau. Die Geschichte der Rockband, so wie man sie heute kennt, beginnt also genau hier. Die Beatles haben es vorgelebt, alle anderen folgten. Irgendwann auch Lemmy und Motörhead.
In der Rockgeschichtsschreibung wird gerne der Do-It-Yourself-Aspekt der Punk-Bewegung Mitte der 70er glorifiziert, als junge Musiker merkten, dass man eben nicht zwangsläufig auf die spielerischen Fähigkeiten Pink Floyds zurückgreifen muss, sondern drei Akkorde völlig ausreichen, um die Welt aus den Angeln zu heben. Alles korrekt. Nur eben eine fast identische Kopie jener Vorkommnisse, die bereits 15 Jahre zuvor die Popkultur revolutioniert hatten. Gerade die frühen Songs der Beatles, landläufig ihrer „naiven Phase“ zugerechnet, ließen eine ganze Generation von Wanderklampfenbesitzern erkennen, dass Pop- Songwriting offenbar doch keine Geheimwissenschaft ist. Und dass man mit Selbstgestricktem sogar Erfolg haben, die Welt bereisen, viel Geld verdienen kann. Nicht zu vergessen: Wer in einer coolen Band spielt, hat glänzende Aussichten auf amouröse Abenteuer.
Für junge Männer Ende zehn, Anfang zwanzig gemeinhin Motivation genug. Fakt ist: Der Verkauf von Schlagzeugen, elektrischen Gitarren und Bässen erlebte um 1964, den Beatles sei Dank, einen ganz unglaublichen Boom, egal ob in großen Städten oder kleinen Dörfern: Überall lärmten Beatbands, die nach oben wollten. Und zwar weltweit, wobei die jeweiligen Medien nie müde wurden, vollmundig die „deutschen“, die „dänischen“ oder auch „amerikanischen Beatles“ auszurufen. Denn die Fab Four waren das Maß aller Dinge. Selbst im fernen Uruguay, einem popkulturell gemeinhin unauffälligen Land, formierte sich mit den „Los Shakers“ Montevideos Antwort auf das Liverpooler Quartett. Rio de la Plata? Mersey River? Ganz egal!
Besonders erfreulich: Auch jenseits des eisernen Vorhangs, in Zeiten des Kalten Krieges bekanntlich ein Bollwerk der Trennung, und zwar in jeder Hinsicht, hörten junge Völker die Signale. Auch in Berlin-Ost, Leipzig, Prag und Warschau formierten sich „Gitarrengruppen“, von der Staatsmacht abwechselnd geduldet, beargwöhnt, behindert und verboten. Doch der Traum, mit dem verqualmten Bandbus durch die Gegend zu fahren, das Publikum ordentlich zu rocken und danach Freundschaft mit der örtlichen Damenwelt zu schließen, war eben universell und ist es noch heute.
Dass dieser Traum Realität werden konnte, hatte nicht Elvis vorgelebt. Der gehörte schon recht schnell zum Showbiz-Establishment, war sogar dem Ruf Hollywoods gefolgt. Ein Unnahbarer, der seine Musik von professionellen Songwritern bezog. Nein, dass Zehntausende junge Männer (um die handelte es sich vornehmlich) lieber den Wechsel von C auf F7 und wieder zurück auf C übten, um ›A Hard Day’s Night‹ nachspielen zu können, anstatt „was Ordentliches“ zu lernen, dass sie sich die Haare unerhörterweise über den Hemdkragen wachsen ließen und spitze Chelsea-Boots mit „Cuban High Heel“ trugen (acht Zentimeter Absatz galten als angemessen), dass sie ihr Geld lieber in eine sündteure Gretsch „Country Gentleman“ mit Koffer und einen Vox AC 30, statt in den Bausparvertrag investierten, all diese Flausen hatten ihnen die Beatles in den Kopf gesetzt.
Toller Artikel, glänzend formuliert!! Kleine Korrektur: Die Orchestrierung von „Eleonor Rigby“ erfolgte durch ein StreichOKTETT. Liebe Grüße!
Etwas hat sicher auch die immer noch sehr große Bewunderung für die Beatles oder auch Led Zeppelin bewirkt: Sie haben rechtzeitig aufgehört. Dadurch wird der Blick auf ihre Genialität nicht durch mittelmäßige und belanglose Spät- und Alterswerke getrübt wie etwa bei den Rolling Stones oder leider auch Bob Dylan.
„Dennoch entstand dieses Album in Vierspur-Technik, was in Anbetracht des Klangbildes nahezu unglaublich erscheint.“ Ringo hat aber dennoch gemeint, das wären zwei Spuren zu viel.