Auf QUADROPHENIA sind zwar Gastauftritte des Klavierspielers Chris Stainton und des Filmdarstellers John Curle – als Nachrichtensprecher – zu hören, doch der komplette Rest ist zu hundert Prozent The Who. Die erste Single-Auskopplung ›5:15‹ entsteht, als sich Townshend zwischen zwei Geschäftsterminen in der Oxford Street und der Carnaby Street ein bisschen die Zeit vertreibt. „Ich hatte nur das Gitarrenriff, ein bisschen angelehnt an Chuck Berry“, erinnert sich der heute 66-Jährige. „Also stand ich da auf der Straße und notierte mir ein paar Sätze, während ich die vorbeiziehenden Passanten beobachtete.“
Zwei der besten Momente, die The Who jemals in Vinyl pressten, sind ohne Frage ›Drowned‹ und ›Love Reign O’er Me‹, was Pete Townshend sofort unterschreibt. „Das sind zwei meiner besten Songs“, betont er nachdrücklich. „›Drowned‹ eignet sich wunderbar für die Bühne. Beide Stücke sind für QUADROPHENIA essentiell.“ Und was ›Love Reign O’er Me‹ angeht, verrät Townshend: „Barbra Streisand tätschelte meine Wange, als die Soulsängerin Bettye LaVette den Song während der Kennedy Center Awards-Show 2008 vortrug. Sie sagte: ‚Hast diesen Song tatsächlich du geschrieben? Er ist wunderschön.‘ Das war ein netter Moment für mich.“
Als QUADROPHENIA 35 Jahre zuvor erscheint, ist die Stimmung nicht ganz so gut, zumindest ein Viertel von The Who scheint missgelaunt. „Die Veröffentlichung verzögerte sich, weil es ein paar Probleme gab“, erinnert sich Barnes. „Roger beklagte sich darüber, dass seine Stimme im Mix verloren gegangen sei.“ Die Band bereitet damals gerade die kommende Tournee in den Shepperton Studios vor, als der latent schwelende Konflikt zwischen Daltrey und Townshend offen ausbricht. Nach einem knappen Wortgefecht verpasst Townshend seinem Frontmann ein paar Hiebe, geht schließlich mit der Gitarre auf ihn los. Daltrey antwortet mit einem einzigen Aufwärtshaken und schlägt seinen Bandkollegen kurzerhand k.o. „Roger verpasste mir mal eine“, entsinnt sich Townshend, „aber ich bin sicher, dass ich darum gebettelt hatte. Er hätte mich umbringen könnte, sein Schlag ist nämlich verdammt hart. Glücklicherweise verlor ich nur für ein, zwei Stunden mein Gedächtnis. Roger war danach furchtbar nett zu mir. Wir hatten unsere Kämpfe, aber er ist ein wirklich guter, liebevoller Mensch. Das wusste ich damals schon, und heute ist es mir noch bewusster. Doch damals standen wir unter immensem Druck, ich kam vier Stunden zu spät, weil ich noch Bänder für die Live-Shows editiert hatte. Aber das ist Schnee von Gestern.“
Die britischen Erstverkäufe von QUADROPHENIA werden 1973 von der herrschenden Vinylknappheit ausgebremst, verursacht durch die Ölkrise. Nur wenige Exemplare erreichen die Läden, bevor die Produktion gestoppt wird. Viele Fans müssen sich bis zum Ende der Tournee im November gedulden, bis sie ein Exemplar ergattern können, danach steigt das Album rasch auf Platz 2 der Charts. Auch in den USA ist die Nachfrage groß, binnen 48 Stunden erreicht das Album Platinstatus. Dass es nicht die Nummer 1 der US-Charts erreicht, liegt an Elton Johns GOODBYE YELLOW BRICK ROAD.
Die Rezeption in der Presse fällt recht uneindeutig aus: Im „Rolling Stone“ preist Lenny Kaye das Album als „schön inszenierte und großartig aufgenommene Abhandlung über die Denkweise britischer Jugendlicher, die nicht zuletzt auch von The Who geprägt wurde“. Er fügt hinzu, dass „The Who niemals besser klangen“, zeigt sich aber wenig überzeugt vom Gesamtbild und vermisst zudem kreative Beiträge von Daltrey, Entwistle und Moon: „Die selbst gestellten Ziele erreicht das Album nicht.“ Der „New Musical Express“ findet das Album „triumphal“, aber „keineswegs makellos“ und merkt an, dass „manche der extravaganten Produktionsdetails in etwa so passend sind wie eine Marzipanschicht auf einem Cheeseburger“. Gleichzeitig wagt der Rezensent zu prognostizieren, dass es für ausdauernde Hörer die „lohnenswerteste musikalische Erfahrung des Jahres“ sein könnte.
Dazu Richard Barnes: „Pete ist glücklich, wenn er mit einem Synthesizer und einem Bandgerät in seinem Bunker sitzt und Songs schreibt. Und das ist mein Eindruck von QUADROPHENIA: Pete und seine Spielzeuge. Beinahe ein Soloalbum. QUADROPHENIA funktioniert, weil es ein wundervolles Kunstwerk ist, seine Kraft ist immens. Dennoch war es in vielerlei Hinsicht ein Missgriff. Es war ein Kritikererfolg und verkaufte sich gut. Jeder hatte es in seiner Plattensammlung, aber kaum einer spielte es.“ Vielleicht liegt es an der misslungenen Tour, dass die Platte nie so richtig abhebt, vielleicht an beiden Single-Fehlschlägen – ›5:15‹ kratzt gerade so an den Top 20, ›Love Reign O’er Me‹ schafft nicht einmal das. Womöglich liegt es aber auch daran, dass Townshend nach Bewältigung dieser Herkulesaufgabe schlichtweg ausgelaugt ist.
Schneller Vorlauf ins Jahr 1996: QUADROPHENIA ist neu abgemischt, und zwar von Townshend und Daltrey. Der Klang ist jetzt schärfer, klarer, die Kontraste zwischen ruhigen Passagen und Powerplay sind noch größer. Die Technologie ist jetzt endlich soweit, Townshends Visionen umzusetzen. Was The Who dazu veranlasst, QUADROPHENIA doch noch auf die Bühne zu bringen. Die erste Show ist ein theatralisches All-Star-Treffen im Londoner Hyde Park, komplett mit riesigen Video-Screens. Der Erfolg ist so groß, dass The Who eine ausgiebige Tour durch die USA folgen lassen, bevor es für ein paar Shows zurück nach England geht und dann der europäische Kontinent bespielt wird. QUADROPHENIA ist also der Spätzünder im Repertoire der Who: eine Platte über die Sechziger, aufgenommen in den progressiven 70ern, die trotz des Themas – eine Nischenkultur vor 45 Jahren – seltsamerweise noch heute funktioniert. Erst im letzten Jahr ließen The Who QUADROPHENIA noch einmal aufleben, und zwar in der Royal Albert Hall zugunsten des Teenage Cancer Trusts. Heute lässt Townshend wissen, dass er bereit ist, 2012 noch einmal mit QUADROPHENIA auf Tour zu gehen, sofern er das Okay von Daltrey hat. Bis dahin muss man mit QUADROPHENIA – THE DIRECTOR’S CUT vorlieb nehmen, einer Fünf-CD-Box mit allerlei Raritäten.
Ob sich Townshends Einstellung gegenüber dem Werk über die Jahre verändert hat? „Ich mochte es immer und war immer stolz darauf, auch wenn es auf der Bühne eben nicht das neue 70-Minuten-Programm war, das wir als Ersatz für TOMMY brauchten. Doch genau das war damals das eigentliche Ziel, weshalb ich lange Zeit nicht so gerne darüber sprach. Erst 1996 konnte ich es so auf die Bühne bringen wie 1973 geplant. Roger war ein kreativer Verbündeter bei der Umsetzung. Seitdem ist mein Enthusiasmus ungebremst, ebenso meine Dankbarkeit dafür, dass wir damals zumindest ein großartiges Album machen konnten. Wir waren ein großartiges Team.“
Für mich ein absolutes musikalisches Meisterwerk der Rock-Musik aber nur als Musik.
Die Verfilmung bzw. Bühnenaufführungen können das wahre Potential das in dieser Musik/Text steckt meiner Ansicht nach nicht vermitteln.
Auf gut gepresstem Vinyl oder 24 / 96 Stream ist QUADROPHENIA ein Genuss für die Sinne.
The Who waren davor und danach nie besser. Der absolute musikalische Höhepunkt dieser mit Abstand einflussreichsten Band der Zeit-Dekaden zwischen 1960 – 1973, meiner Meinung nach. Ich bin selbst ein Zeit-Zeuge der dieses Album noch als Original-Doppel-LP besitzt.
Was für Pink Floyd Wish You were here ist/war, ist/war Quadrophenia für the who. Wish you were here is ein Konzept-Album obwohl es nie so bezeichnet wurde. Dagegen war Dark Side of the Moon nicht aus eine Guss zuviel unterschiedliche Momente. Auch kamen beide Alben whish you were… und Quadrophenia) zu ungefähr der gleichen Zeit auf den Markt. Ich habe das erscheinen beider Alben als Teenie erlebt. Es sind in Stein gemeisselte Denkmäler der Rockgeschichte. Bei Quadrophenia hört man die Trommelsalven von Keith Moon besser den je heraus – sie türmen sich vor einem auf wie riesige Wogen bevor sie in sich zusammenfallen. Er hat so eine geschmeidige Art die Gitarre von Pete T. zu untermalen obwohl er ja ein Rockschlagzeuger wie Bonham war und beide traf so ein ähnliches Schicksal. Es gibt wenige Alben auf denen man ganz präzise das Schlagzeug heraushören kann. Ich liebe dieses Album.