Vivian Campbell hatte die Musik noch vor seinem Einstieg bei Dio geschrieben, doch sie wurde zu einem Teil des Albums, das Ronnie James Dio als „eine der stolzesten Errungenschaften meines ganzen Lebens“ bezeichnete.
Ein Jahr vor seinem Tod 2010 sagte Ronnie James Dio zu mir: „In einer weltbekannten Band zu sein ist mehr, als sich die meisten Musiker erträumen können. In zweien zu sein, dieser Wunsch grenzt fast an
Gier. Aber sich DREIMAL in einer erfolgreichen Formation wiederzufinden – vor allem, wenn dir das mit deiner eigenen Band passiert –, nun … ich kann mich extrem glücklich schätzen.“ Tatsächlich hätten nur wenige Menschen vorhergesagt, dass Dio seinen Rausschmiss bei Rainbow 1979 überleben würde – dafür, dass er sich „weigerte, kommerziellen Pop-Rock-Mist wie ›Since You Been Gone‹ zu singen“.
Schließlich war er der Sänger auf einem der größten Albumklassiker überhaupt gewesen, RAINBOW RISING. Als bekanntgegeben wurde, dass er Ozzy Osbourne bei Black Sabbath ersetzen würde, dachten die meisten, es wäre der letzte Nagel im Sarg dieser Band, schlichtweg undenkbar. Stattdessen ließ seine Ankunft deren Karriere wiederauferstehen und sie nahmen gemeinsam HEAVEN AND HELL auf, das heutzutage ebenfalls als monumentaler Rockklassiker gilt. Als er Sabbath verließ, gelang Dio sein erstaunlichster Geniestreich: sein erstes Soloalbum, HOLY DIVER. In einem Jahr, in dem sowohl Rainbow (mit dem grottenschlechten BENT OUT OF SHAPE) als auch Black Sabbath (mit dem lächerlichen BORN TO DIE) endgültig am Ende zu sein schienen, blickte HOLY DIVER aus sehr größer Höhe mit Verachtung auf sie herab.
Neben dem legendären Titelstück war ›Rainbow In The Dark‹, die wichtigste Single des Albums, das große Highlight darauf. Dio-Gitarrist Vivian Campbell sagte, das Monster-Riff „war mal ein Song von Sweet Savage namens ›Lady Marianne‹“. Sweet Savage hieß die Band in Belfast, die Campbell als Teenager gegründet hatte, bevor er mit 20 den Job im noch taufrischen DioLine-up ergatterte. „Ich dachte im Hinterkopf wahrscheinlich, dass Sweet Savage nicht weiter existieren würden, weil ich so sehr Teil von ihnen war. Doch die gesamte Musik von ›Rainbow In The Dark‹ kam von jenem Sweet-Savage-Song, den ich mit 16 geschrieben hatte.“ Campbell erinnerte sich an die Entstehung des Dio-Stücks aus einer losen Jam-Session. Er hatte zum Spaß mit Bassist Jimmy Bain und Schlagzeuger Vinny Appice gejammt, als Ronnie im Proberaum ankam. „Es herrschte immer ein bisschen mehr Anspannung im Raum, wenn Ronnie zu den Proben erschien. Er war definitiv der Boss.“
Dio hatte erstmals bei Rainbow mit Bain zusammengearbeitet, Appice war gegen Ende von Ronnies Zeit bei Sabbath deren Drummer gewesen. „Jimmy, Vinny und ich spielten einander einfach Riffs zu. Wir fingen zu spielen an und Vinny gab dem Ganzen dann seine eigene Note. Niemand auf dem Planeten spielt Schlagzeug so wie Vinny Appice. Er hat den Beat erfunden. Wann immer ich etwas schrieb, dachte ich beim Spielen, die Snare müsse hier hin, die Bassdrum da hin. Und in neun von zehn Fällen tat Vinny genau das Gegenteil. Das machte er dann auch bei ›Rainbow In The Dark‹. Wir spielten es Ronnie vor und der fing praktisch sofort an, die Melodie darüber zu singen. In einer Pause ging Jimmy dann zu seinem kleinen Yamaha-Keyboard, das wir aufgebaut hatten, und ließ sich das kleine Synthie-Motiv einfallen. Und das war’s – wir hatten den ganzen fucking Song innerhalb von zehn
Minuten geschrieben.“ Dieses „kleine Synthie-Motiv“ von Bain war ursprünglich die Improvisation eines Keyboard-Parts für ein Lied namens ›Criminal Tendencies‹ gewesen, das er für seine vorige Band Wild Horses geschrieben hatte.
Doch nichts von alledem hätte musikalisch je funktioniert ohne Dios Gabe für Melodien – ein Talent, das er in seiner Kindheit entwickelt hatte, als er lernte, Trompete zu spielen – und natürlich seine löwenstarke Stimme. Auch der Text war einer seiner besten: „I cry out for magic, I feel it dancing in the night/It was cold, I lost my hold, to the shadows of the night …“ „Er war komplett anders als die meisten Rocksänger, denen ich begegnet war“, erinnert sich Ronnies Frau und Managerin Wendy Dio. „Er war intelligent und las jeden Tag ein Buch.“
Die Entstehung von ›Rainbow In The Dark‹ war ein weiterer Beweis dafür, wie viele reflektierte Gedanken er sich um seine eigene Band zu Beginn gemacht hatte. „Es wäre ein Leichtes für mich gewesen, einfach ein paar Überflieger vom Sunset Strip aufzugabeln und eine Gruppe zusammenzustellen“, sagte er mir später. „Aber ich hatte bei Rainbow und Sabbath mit so vielen großartigen britischen Musikern zusammengearbeitet und wollte diese Mischung aus amerikanischem und britischem Rockstil beibehalten.“ Hauptsächlich aus diesem Grund nahm Ronnie die Chance nicht wahr, den jungen Jake E. Lee ins Line-up zu holen, der sich später als StarGitarrist in Ozzys Soloband einen Namen machte. Vor Bains Ankunft hatte es Gespräche mit dem Australier Bob Daisley, ehemals Bassist bei Rainbow, gegeben – der seltsamerweise neben Lee ebenfalls bei Ozzy einsteigen sollte. Bain war es dann, der den damals völlig unbekannten Gitarristen Vivian Campbell vorschlug.
„Mir schwebten zwei Typen vor“, sagte Bain. „Der eine war John Sykes, der andere war Vivian.“ Sykes hatte schon bei Whitesnake zugesagt, also gab Dio Campbell eine Chance – und so war eines der essenziellen Line-ups des 80er-Metal geboren. Der blauäugige 20-Jährige konnte sein Glück nicht fassen: „Ich war ein großer Fan von Rainbow und hatte HEAVEN AND HELL rauf und runter gespielt. Dio war für mich ein großer Star und es war seltsam, überhaupt mit ihm in einem Raum zu sein.“
Innerhalb weniger Wochen war das neue Quartett in Los Angeles und arbeitete im Sound City Studio
in Van Nuys. Dort gab es auf einer Seite des Hofs einen Proberaum und auf der anderen ein Studio. Im
Lauf der Jahre wurden viele Albumklassiker dort aufgenommen. „Wir gingen jeden Abend da rein und hatten sehr viel Spaß“, erinnert sich Campbell. „Wir rauchten viel Gras, Freunde kamen vorbei. Es war eine tolle Atmosphäre.“
Sie beendeten die Arbeit an den Songs und nahmen sie dann oft noch am selben Abend auf. „Wir
bauten das Equipment nicht mal ab, sondern rollten es einfach über den Parkplatz ins Studio.“ Das Endergebnis, auf den Punkt gebracht von ›Rainbow In The Dark‹, war „eine der besten Errungenschaften meines ganzen Lebens“, schwärmte Ronnie. „Rock, aber nicht nur Lärm. Ein toller Song mit tollen Darbietungen.“