Wie ein Song, der mit einer zufällig bellenden Hündin begann, die schrägste Band in Los Angeles in die Paten des Alternative Rock verwandelte.
Die Stimme, die den Song einleitet, der die 90er-Jahre erfand, war keine menschliche. Sie gehörte Annie, einer
Hündin, die Jane’s-Addiction-Sänger Perry Farrell aus einem Tierheim adoptiert hatte. Es war Annies rhythmisches Bellen, das den Anfang von ›Been Caught Stealing‹ markierte – des Tracks, der den Alt.Rock-Visionären zu ihrem größten Hit verhelfen sollte. „Sie war ziemlich anhänglich, also nahm ich sie an dem Tag ins Studio mit, statt sie zu Hause zu lassen“, erzählte Farrell 2000. „Ich sang in der Kabine mit Kopfhörern und Annie wurde ganz aufgeregt und legte plötzlich los: ‚Wuff! Wuff! Wuff!’ Dass sie auf der Aufnahme landete, war reiner Zufall.“ Zufall oder nicht, es war die perfekte Einleitung für den Song, der die Alt.Rock-Revolution lostrat. ›Been Caught Stealing‹ und das Album RITUAL DE LO HABITUAL brachten die Außenseiter in den Mainstream und positionierten Jane’s Addiction als die Wegbereiter einer Welle von Bands, die folgen würden.
Jane’s Addiction waren 1985 in Los Angeles von Farrell, Gitarrist Dave Navarro, Bassist Eric Avery und Schlagzeuger Stephen Perkins gegründet worden. Der Glam-Metal erreichte da gerade seinen Höhepunkt und die Musik, die sie machten, war Lichtjahre entfernt von der im Haarspray-Nebel badenden Unbekümmertheit
dieser Szene. Farrell und seine Kollegen blickten nicht nur auf die dunklere Seite des Lebens, sie waren dort auch beheimatet. Erstaunlicherweise lies sich ihr Label Warner dadurch nicht abschrecken und nahm sie nach
ihrem selbstbetitelten Livealbum von 1987, das auf dem Independent- Label Triple X erschienen war, unter Vertrag. Der Nachfolger, das elektrisierende NOTHING’S SHOCKING von 1988, klang dann wie nichts sonst und bediente sich bei allem, von der Psychedelik der 60er über den Hardrock der 70er bis zum frühen britischen Post-Punk der 80er. Mit RITUAL DE LO HABITUAL schalteten die musikalischen Ambitionen von Jane’s Addiction jedoch einen Gang höher. Das Album war grob in zwei Hälften unterteilt. Die erste Seite der ursprünglichen Vinyl-LP war voller kurzer Hochspannungs-Rocksongs, wenngleich durch das einzigartige Prisma der Band gebrochen. Die ausladendere zweite Seite führte ihren Sound dann aber an Orte, die nur wenige andere Bands
erkundeten.
›Been Caught Stealing‹ mit seinem Hundegebell-Intro schloss die erste Seite ab. Geschrieben von Farrell und Avery, fügte es dem Funkrock- Sound, den etwa die Red Hot Chili Peppers und auch Jane’s selbst begründet hatten, einen typisch schrägen Twist hinzu, während die erste Zeile des Songs – „been caught stealing, once, when I was five“ – auf einer wahren Geschichte basierte. „An der Ecke bei unserer Wohnung in Queens war ein Süßigkeitenladen, in den ich ständig ging“, sagte Farrell im Rolling Stone. „Ich dachte, ich sei ziemlich gut im Klauen, doch dann ertappte mich ein Typ auf frischer Tat, als ich eine Pennsy Pinky [einen Kinder-Sportball aus rosa Gummi] mitgehen ließ.“ Im Text der Nummer begeben sich Farrell und seine Freundin auf eine Ladendiebstahl-Exkursion, klauen Röcke und Rasierklingen und lachen, während sie diese ihrem Haufen aus Diebesgut hinzufügen. Der Sänger wies Vorwürfe, dass er solches Verhalten gutheißen würde, zurück – oder dass er in seinen Songs überhaupt irgend- etwas predigte. „Ich habe nicht mit der Musik angefangen, um
Reden zu schwingen oder ein Regelsystem zu entwickeln, nach dem andere leben sollen“, sagte er 1990 im BAM. „Es liegt mir fern, irgendetwas zu lehren. Es geht nur darum, mich auf diesem absolut langweiligen Planeten zu amüsieren.“ Der Song mag locker und lässig klingen, doch die Aufnahmesessions zu dem Album waren alles andere als das. Der Drogenmissbrauch der Band – Farrell, Navarro und Avery waren sämtlich begeisterte Heroinkonsumenten – war ein Teil ihrer Mythologie. Doch zu jener Zeit begannen ihre chemischen Vorlieben, sie auseinander zu treiben.
„Eric, Perry und ich kämpften alle zu verschiedenen Zeiten mit denselben Dämonen und spachen nicht miteinander darüber, was wirklich seltsam war“, sagte Dave Navarro im Rolling Stone. „Es herrschte also eine gewisse Geheimhaltung zwischen uns und das Gefühl, dass wir nicht miteinander im Reinen waren, während andererseits dieses Verständnis füreinander und unser unausgesprochenes Wissen existierten. Und das sorgte für eine wirklich bizarre Dynamik.“ Aber irgendwie funktionierte diese Dynamik. RITUAL DE LO HABITUAL erschien im August 1990 und ›Been Caught Stealing‹ wurde im folgenden November als Single veröffentlicht. Begleitet wurde es von einem Videoclip, in dem eine Reihe wunderbarer Freaks den Text des Songs in einem
kleinen Supermarkt nachspielten. Er landete auf MTV in der Heavy Rotation und brachte die Single immerhin auf Platz 34 der Billboard-Charts. ›Been Caught Stealing‹ war aber nicht nur der größte Hit für Jane’s Addiction, sondern auch ein Wendepunkt für die gesamte Alternative-Rock-Bewegung. R.E.M. waren aus dem College-Underground zu Darlings des Mainstreams aufgestiegen, während Faith No More einige Monate zuvor im selben Jahr mit der Rap-Metal-Hymne ›Epic‹ ihrerseits den Durchbruch geschafft hatten. Doch Jane’s Addiction waren noch mal ganz anders: Sie stellten das endgültige, stolze Hissen der Freak-Flagge im Rock dar. Ihr Status als kulturelle Galionsfiguren wurde im folgenden Jahr zementiert, als Farrell das bahnbrechende Festival-als-Wanderzirkus Lollapalooza aus der Taufe hob. Mit Jane’s Addiction als Headlinern und u. a. Nine Inch Nails, Living Colour und der Rollins Band im Line-up wurde es zum Blitzableiter der „Alternative Nation“.
Es erwies sich allerdings auch als Schwanengesang für Jane’s Addiction selbst. Die Gräben, die sich bei den Albumsessions aufgetan hatten, waren unüberbrückbar geworden. Am 28. August 1991 kam so nicht nur das Lollapalooza-Festival zu seinem Ende, sondern auch Jane’s Addiction. „Es hatte etwas Romantisches an sich, uns zu diesem Zeitpunkt aufzulösen“, sagte Farrell 2018 in Q. „Aber wir hätten so oder so nicht weiterma-
chen können. Wir brachten einander um.“ Für Jane’s Addiction mag die Reise vorbei gewesen sein, zumindest bis zu ihrer späteren Reunion, doch ihr Erfolg hatte den Korken ploppen lassen und der Flaschengeist war entwichen. Im September 1991, nicht mal einen Monat nach dem letzten Jane’s-Konzert, veröffentlichten Nirvana NEVERMIND und der stete Tropfen des Wandels wurde zu einer Sturmflut. Die 90er-Jahre hatten Fahrt
aufgenommen.