IS THIS THE LIFE WE REALLY WANT? ist dein erstes Rockalbum seit AMUSED TO DEATH aus dem Jahr 1992. Wann genau hast du beschlossen, dass es mal wieder an der Zeit ist mit einer solchen Platte?
Es begann, als ich vor einigen Jahren während der „The-Wall“-Tour den Song ›Déjà Vu‹ schrieb. Wir nahmen auch gleich eine Demoversion mit meiner Band auf, und ich war der Ansicht, dass der Song richtig gut ist und auf ein Album gehört. So schrieben wir ein paar weitere Stücke, die ich dann in einer Art Hörspiel zusammenfasste.
Wie kam der Produzent des Albums, Nigel Godrich, an Bord?
Der Schauspieler Shaun Evans hat uns bekannt gemacht und Nigel auch gleich dazu überredet, den Soundtrack für unseren gemeinsamen Film zu „The Wall“ aufzunehmen. So fingen wir an zu reden, ob wir vielleicht ein ganzes Album machen wollten, Nigel hörte sich meine Hörspiel-Demos an und reagierte recht trocken. Er sagte sowas wie „Ich mag diese drei Akkorde hier, und dort ist die Melodie nicht schlecht, diese eine Stelle finde ich auch gut“. Und zum Rest verzog er das Gesicht. Ich merkte, ich kann entweder sagen „dann verpiss dich“, oder ich reagiere wie ein Erwachsener und frage ihn, was er denn stattdessen vorschlagen würde. Ich wählte die zweite Option und wir begannen, an dem Zeug zu arbeiten.
Wie bist du mit Nigel Godrich ausgekommen? Du hast ja nicht gerade den Ruf, immer besonders kooperativ zu sein.
(lächelt) Nigel ist wie ich: sehr autokratisch. Um mit ihm arbeiten zu können, musste ich den typischen Kopf-durch-die-Wand-Roger in die Kiste packen und ihn machen lassen. Jemand anderem so viel Verantwortung und Spielraum zu geben war ungewohnt für mich, ich hatte das vorher nie in diesem Ausmaß gemacht. Aber ich riss mich zusammen, und jetzt bin ich froh, dass ich mich zurückgenommen habe. Denn es wäre ein komplett anderes Album geworden, wenn ich immer durchgesetzt hätte, was ich will.
Ein besseres oder ein schlechteres?
Das kann ich nicht beantworten. Es wäre vermutlich auch gut geworden, vielleicht besser, vielleicht und – nicht unwahrscheinlich – auch schlechter. Ihm die Kontrolle weitgehend zu überlassen und ihn machen zu lassen, was er wollte, das war eine großartige Sache, denn ich denke, er hat ein echt verdammt gutes Album gemacht.
War es hart für dich, deinen inneren Autokraten unter Kontrolle zu halten?
Yeah. Absolut. Sehr. Das war was Neues. Es fiel mir nicht leicht, loszulassen. Aber man ist nie zu alt, um die Dinge auf eine andere Weise anzugehen.
Hat es dir mehr Spaß gemacht, diese Platte zu machen als andere in der Vergangenheit?
Die Arbeit hat mir schon sehr gut getan. Klar, reibungslos war es nicht, manches war schwierig und eine Herausforderung, insbesondere, mir klarzuwerden, dass es okay ist, nicht der Diktator zu sein und mir keine Sorgen deshalb zu machen. Oder den Impuls zu unterdrücken, die ganze Zeit dazwischen zu gehen und Änderungsvorschläge zu machen. Aber alles in allem war es echt cool.
Wie ging es dir privat, als ihr IS THIS THE LIFE WE REALLY WANT? aufgenommen habt?
Oje. Ich war in einer dieser On/Off-Beziehungen. Meine Herren. Das war eine sehr leidenschaftliche Liebesaffäre, was bisweilen sehr schmerzhaft und heftig für mich war. Das ging also parallel vor sich und wahrscheinlich war das für die Platte sogar ein Vorteil, weil es mich verletzlicher gemacht hat. Okay, keine Ahnung, so toll war es auch wieder nicht, all diesen Schmerz zu erleiden, aber du lernst auch aus solchen Erfahrungen, solchen Krisen.
Was nimmst du aus der Beziehung mit?
Dass Leidenschaft geil ist. Und dass Leidenschaft ein knappes Gut ist im Leben. Wenn du die Chance hast, Leidenschaft zu erfahren, in welcher Form auch über, dann nimm diese Chance war. Gesellt sich dann der Schmerz zur Freude hinzu, dann tut er das eben. Sag‘ dem Schmerz und dem Liebeskummer, dass sie dich am Arsch lecken sollen. Denn die Leidenschaft ist jeden Tiefschlag wert.
Du warst bislang viermal verheiratet und bist viermal geschieden. Leidenschaft scheint kein knappes Gut im Leben von Roger Waters zu sein.
(grinst) Nun ja, eher nicht, nein.
Du schöpfst aus einer extremen Mischung von Inspirationsquellen für dieses Album. Auf der einen Seite stehen die Leidenschaft und damit einhergehend die Frau im Allgemeinen und Speziellen. Auf der anderen Seite ist dort jemand wie Donald Trump, den du verachtest und in deinen Songtexten nur „Nincompoop“ (frei und wohlwollend übersetzt „Der geistig nicht Gesunde“) nennst.
Ja, denn das ist das Leben. Es ist eben nicht das Leben, das wir wirklich wollen. Sondern das Leben, wie es sich uns präsentiert.
Welches Leben willst du denn selbst wirklich?
Ich wünsche mir von Herzen ein Leben, in dem die Lehrer jeden Tag die Schulkinder fragen, wie es ihnen geht, was sie fühlen, was sie wollen, was ihre Träume sind. Ich wünsche mir eine Gesellschaft, in der einer den anderen fragt „Was wollen wir machen?“, „Wie wollen wir die Probleme gemeinsam angehen?“, „Welche Lösungen wollen wir finden?“ Stattdessen sagen wir „Okay, es ist 10 Uhr, lasst uns ein paar Bomben werfen, und danach gibt es Tee“. Ich muss wieder über unsere Kriege reden. Wie können unschuldige Schulkinder am anderen Ende der Welt unser Feind sein? Jaja, und dann heißt es wieder „auf die Kinder zielen wir nicht, sondern nur auf die Terroristen“. Toll. Aber sie killen die Kinder verdammt nochmal doch! Mir doch egal, auf wen die Militärs zielen. Es geht darum, wen sie treffen. Warum töten wir Menschen? Warum spielen wir nicht mit ihnen Fußball? Es geht mir so vieles nicht in den Kopf rein. Aber wie vorhin schon gesagt. Wir bringen die Unschuldigen um, weil es uns Geld einbringt. „Ist das fair?“, frage ich die Verantwortlichen, und ich bekomme zur Antwort „Wir sind nicht in diesem Business, damit wir lieben und geliebt werden“. Und je gieriger du bist, je skrupelloser, desto besser eignest du dich zum Machthaber. Mit Donald Trump ist dieses System jetzt auf die Spitze getrieben worden.
Ich kam gestern bei der Einreise mit einem Grenzpolizisten ins Gespräch, der Trump sehr verehrt. Er sagte, die USA bräuchten ein Raubtier an der Spitze, das die kleineren Staaten notfalls erlegt und auffrisst. Gnadenlosigkeit sei ein wichtiges Merkmal einer guten US-Politik. Man könne es sich nicht leisten, „die Guten“ zu sein.
Um Gottes Willen. Das hat ein Grenzbeamter gesagt?
So sieht es aus.
Wow, wow, wow! Das passt perfekt zu dem, was ich gerade erzählt habe. Es ist erschreckend und faszinierend. Furchtbar. Welche Hautfarbe hatte der Mann?
Weiß. So Richtung Redneck.
Ich hätte wetten können. So reden nur weiße Typen. Mein Gott, ich liebe es, hier in New York mit der U-Bahn zur Arbeit zu fahren, damit ich auch mal raus komme aus meiner reichen, privilegierten, weißen Welt. Das Großartige am Bahnfahren ist ja, dass du dort so unendlich viele verschiedene Hautfarben und Kulturen auf engstem Raum erleben kannst. Diese Vielfalt ist einfach so wohltuend und erfrischend.
Fortsetzung auf Seite 3