„Es gibt das stolze Glück, ein Glück, das guter Arbeit am hellen Tag entspringt, jahrelanger lohnender Schufterei, und hinterher ist man müde und froh und umgeben von Familie und Freunden, zutiefst zufrieden und bereit für die wohlverdiente Ruhe – Schlaf oder Tod, es wäre einerlei.“ So lässt Dave Eggers, der mit „Der Circle“ 2013 ein düsteres Bild der Internetkonzerne zeichnete, seinen neuen Roman beginnen.
Dessen Hauptfigur Josie hat ihre Zahnarztpraxis wegen eines Rechtsstreits verloren und ist mit ihren beiden Kindern, Paul (8) und Anna (5), nach Alaska durchgebrannt. Es ist auch eine Arte Flucht vor ihrem blutleeren Ex-Mann, der ihre gemeinsamen Kinder seiner neuen Verlobten vorstellen will. Ein unverschämter Eingriff in ihr Leben, findet Josie. Und so kurvt sie, in einem abgetakelten Wohnwagen, unauffindbar, wie sie hofft, durch den abgelegenen US-Staat.
Doch ihre Erinnerungen finden sie, überall, besonders quälend die an einen jungen Ex-Patienten, Jeremy, der als Soldat in Afghanistan gefallen ist und an dessen Tod sich Josie eine Mitschuld gibt, weil sie ihn damals ermuntert hatte, zur Armee zu gehen. Und es gibt etwas, das Josie und ihre Kinder ganz unmittelbar bedroht: ein Waldbrand, der in Alaska wütet und verbrannte Erde hinterlässt.
Es ist dies natürlich auch eine Metapher – auf ein verwundetes Land, auf ein Amerika, das in Flammen zu stehen scheint. Ein Land, das müde ist von vergangenen und laufenden Kriegen, in dem alte Sicherheiten wegfallen, in dem die Mittelklasse vom Abstieg bedroht ist. Josie sieht ihre Heimat als eine Nation, die „zum Kannibalismus neigte, zum Fressen der Jungen und Schwachen, zu Vorwürfen und Klagen und Ablenkungen und dem vulkanischen Aufkommen alter Hassmuster“. Vorbei die „fröhlichen 50er, als die Zukunft drall und schnittig und aufstrebend war“.
Sie ist eine Heimatlose im eigenen Land, eine Suchende, unterwegs auf einem Roadtrip unbestimmter Länge. Natürlich hält der auch Momente der Hoffnung, der Wärme und das Gefühl erlösender Freiheit bereit. Aber können die mehr sein als flüchtige Ausreißer nach oben? Eine Frage, die bis zum Ende nicht endgültig zu beantworten ist. Eggers gelingt es so, die Spannung auch über knapp 500 Seiten meist zu halten – und, ganz ohne großes Spektakel, das Porträt einer brüchig gewordenen Gesellschaft zu zeichnen.
8/10
Bis an die Grenze
VON DAVE EGGERS
Kiepenheuer & Witsch