Schon immer benutzten Menschen Schlagwerkzeuge zum Feiern, Tanzen, Trauern und Heilen. Für ihre urwüchsigen Lieder über Geister, Wölfe, weite Landschaften und dramatisches Wetter setzen New Model Army dieses Mal ganze Batterien von Trommeln ein.
„In der Dämmerung kann man kaum erkennen, ob diese Silhouette dein Jagdhund oder ein Wolf ist“, erklärt Justin Sullivan den mystischen Albumtitel BETWEEN DOG AND WOLF. „Zwischen Hund und Wolf“ ist ein mittelalterliches, französisches Sprichwort, es illustriert das Gefühl der Unsicherheit. Es ist auch eine gute Beschreibung für die Band.“ Der Kopf von New Model Army erinnert an die allererste Single, welche die Band 1983 aufnahm, ›Bitter Sweet‹. „Damals schrieb ein Kritiker: ,Das ist eine Band, die sich nicht entscheiden kann, ob sie zu den Guten oder Bösen gehören will‘“, lacht Sullivan, „das ist heute noch so.“
Inzwischen ist Justin Sullivan das letzte Gründungsmitglied der Folkrock-Bastion aus dem englischen Bradford. „Anfangs planten wir nur einen Kneipen-Gig. Daraus sind jetzt 33 Jahre geworden“, staunt der Rockpoet. „Über den Namen haben wir nicht lange nachgedacht, er tauchte im Geschichtsunterricht auf. Ich hatte zum Glück einen guten Lehrer.“ Die New Model Army war die Streitmacht des englischen Heerführers Oliver Cromwell, eines puritanischen Erneuerers, der 1646 den englischen König Karl I. stürzte. „Die historische New Model Army endete übrigens als Herrschaftsinstrument einer Diktatur – wie alle revolutionären Armeen“, sagt Sullivan, der sich brennend für Dinge wie Politik, Religion, Reisen, weite Landschaften und dramatisches Wetter interessiert.
Wer ein New-Model-Army-Konzert besucht, spürt die Nähe und Verbundenheit der Fans untereinander. Es herrscht eine Vertrautheit, die es nur selten gibt, fast wie bei einem Stammestreffen. Umso passender erscheint es, dass das neue Album vielfach auf Trommeln beruht. Immer wieder erschallen wuchtige Kesselpassagen, zu denen die Mitglieder singen wie Medizinmänner beim Powwow nordamerikanischer Ureinwohner. Darüber erklingen mächtige, oft melancholische Gitarren und ein satter Bass. Apropos Bass, nach 22 Jahren hat Bassist Nelson die Band verlassen und wurde durch Ceri Monger ersetzt. „Zum Glück spielt Ceri gerne Schlagzeug, er kam zur richtigen Zeit. Ceri stammt aus einer musikalischen Hippie-Familie. Sein Bruder Barney Monger etwa ist Schlagzeuger bei Extreme Noise Terror“, berichtet Justin.
Justin Sullivan hingegen wuchs in einer Quäker-Familie auf. Obwohl er sich als Heide bezeichnet, spielen biblische Gleichnisse in seinen Texten bis heute eine Rolle. Auf der neuen CD tauchen etwa Kain und Abel auf (›Seven Times‹), wird vor der Apokalypse gewarnt (›Horsemen‹), verwandeln sich Wasser in Wein und Wein in Blut (›Between Dog And Wolf‹). „Von allen fiktionalen Büchern der Weltliteratur ist das Alte Testament das gewalttätigste, rassistische und grausamste.“ Der Gott der Bibel reagiere oft unberechenbar und willkürlich. „Vielleicht ist das ganz passend, weil Menschen eine Erklärung für die Launen der Natur brauchen. Die Wetterkatastrophen passieren zufällig und du weißt auch nicht, was in deinem Körper passiert…“ Erkenntnisse wie diese finden sich reihenweise auf den zwölf Studioalben dieser urtümlichen, archaischen Band. Im neuen Track ›Ghosts‹ beschreibt Sullivan, wie Menschen mit Geistern reden. „Wir reden mit unseren verstorbenen Eltern, Freunden, Verwandten, Kollegen und anderen. Die Toten werden ein Teil von uns, so funktionieren Geister. Wenn Menschen, denen du nahe stehst, sterben, übernimmst du etwas von ihrem Geist und das ist immer da. Das fühle ich besonders mit Robert (Heaton, der verstorbene NMA-Schlagzeuger, -Komponist und -Texter). Wir waren keine Freunde, aber wir standen uns nah.“
Henning Richter