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Neil Young & Crazy Horse: Wie alles anfängt – ein amerikanischer Mythos

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Neil Young & Crazy Horse: Wie alles anfängt – ein amerikanischer Mythos

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Neil Young 70s

Die Blumenträume einer Jugendgeneration sind nur noch eine ferne Ahnung, eine pervertierte Version davon hat ihre Mordlust ausgelebt, Freunde sind den Drogen erlegen, die USA stecken noch immer im Vietnamkrieg fest, der sich langsam zu einem nationalen Trauma auswächst, dazu steht Watergate kurz bevor. Nichts wirkt mehr so unschuldig, wie es scheinbar einmal war.

Abgesehen davon, schlägt sich Young mit privaten Problemen herum. 1975 zerbricht seine Beziehung mit der Schauspielerin Carrie Snodgress, mit der er knapp fünf Jahre zusammen war und mit der er den gemeinsamen Sohn Keke hat. Die Trennung hinterlässt ihre Spuren auf dem nächsten Album ZUMA, das sich weniger mit gesellschaftlichen Themen beschäftigt als die Vorgänger und die „Ditch Trilogy“ (oder vielmehr Tetralogy) aus TIME FADES AWAY, ON THE BEACH und TONIGHT’S THE NIGHT beendet. Zum ersten Mal seit EVERYBODY KNOWS THIS IS NOWHERE steht der Bandname Crazy Horse auch wieder mit auf dem Titel, dazu steuern David Crosby, Stephen Stills und Graham Nash auf einzelnen Stücken Background-Vocals bei. Frank „Poncho“ Sampedro, ein in Los Angeles lebender Gitarrist spanischer Abstammung, der schon zuvor gelegentlich mit Crazy Horse zusammengespielt hat, etabliert sich hier endgültig als Nachfolger des verstorbenen Danny Whitten (Sampedro wird erst Jahrzehnte später, vor dem aktuell erscheinenden Young-Werk COLORADO, aus der Band ausscheiden und durch Nils Lofgren ersetzt werden).

Die Lieder auf ZUMA sind relativ kurz, klingen vergleichsweise beschwingt, dauern meist um die drei Minuten, längere Jam-Passagen fehlen fast vollkommen. „Pardon my heart, if I showed that I cared/But I love you more than moments we have or have not shared“, singt Young zu zartem Folk, um wiederum in ›Stupid Girl‹ zu höhnen: „I saw you in Mercedes Benz, practicing self-defense/You got it pretty good I guess“. ZUMA ist die bis dahin persönlichste, vielleicht verletzlichste Platte des damals knapp 30-Jährigen, und eine der besten in einem an guten Young-Platten nicht gerade armen Jahrzehnt.

Der temperamentvolle Country-Rock von ›Looking For A Love‹ verbindet eine fast naiv wirkende Hoffnung mit der Gefahr, die immer zu lauern scheint, wenn zwei Menschen sich wirklich aufeinander einlassen. „In her eyes I will discover another reason why/I want to live and make the best of what I see“, heißt es, und nur ein paar Zeilen später: „But I hope I treat her right and don’t mess with her mind/When she starts to see the darker side of me“.

Das längste und gleichzeitig bekannteste Stück auf ZUMA ist das rund siebeneinhalbminütige ›Cortez The Killer‹. Das groovt sich erstmal drei Minuten ein, bevor der Gesang beginnt, und Young war selten besser an der Gitarre. Seine gedehnt gespielten Solos fangen die Unheil verkündende, tragische Atmosphäre des Songs perfekt ein. Was den Text betrifft, bedient sich der Kanadier in der Historie. Er nimmt den Kampf der Azteken unter Häuptling Montezuma gegen die eindringenden Spanier um Konquistador Hernán Cortés im 16. Jahrhundert, um vom verlorenen Paradies, von falsch eingeschlagenen Wegen und zurückgelassener Liebe zu erzählen („And I know she’s living there/And she loves me to this day/I still can’t remember when or how I lost my way“). Wie später zum Beispiel auch ›Pocahontas‹ greift der Song das Schicksal eines von eindringenden Eroberern bedrohten indigenen Volks auf. Ein wiederkehrendes Motiv.

Es ist 1975: Young hat mit Talbot, Molina und Sampedro seine endgültige Band beisammen, die, die ihn für die nächsten rund vier Jahrzehnte begleiten wird. In den vergangenen sechs Jahren hat er sechs Alben veröffentlicht, die heute allesamt als Klassiker gelten – von DÉJÀ VU mit CSNY sogar mal abgesehen. Die erste Hälfte der 70er war ganz klar seine. Nicht zuletzt, weil er es immer wieder geschafft hat, gesellschaftliche wie private Tragödien und Rückschläge in seiner Musik zu kanalisieren. Young ist zu schlau, zu abgebrüht oder nicht verzweifelt genug gewesen, um an den Drogen zugrunde zu gehen („I am not a preacher, but drugs killed a lot of great men“, schreibt er 1977 in den Liner Notes zur Best-of DECADE). Den Höhepunkt, weil Inbegriff seines Frühwerks, und zugleich dessen Abschluss, hat er sich aber bis zum Ende des Jahrzehnts aufgespart.

Das zunächst erscheinende AMERICAN STARS ’N BARS von 1977 gehört heute nicht zu seinen bekanntesten Werken, das darauf enthaltene ›Like A Hurricane‹ dafür umso mehr. Das folgende COMES A TIME ist eine vergleichsweise akustische Platte, die, auch wenn die Band dabei ist, ohne den typischen Sound von Crazy Horse daherkommt.

Neil Young Live Rust
Neil Young im Konzertfilm „Rust Never Sleeps“

Der ganz große Wurf steht da aber schon vor der Tür. Es wird eine Art Dreifachveröffentlichung: Album, Live-Platte und Konzertfilm, aufgenommen zum großen Teil auf der Tour mit Crazy Horse 1978 und auf der Solotour im selben Jahr.

Zuerst das Album: Young entschließt sich, das neue Material, das er geschrieben hat, nicht wie gewohnt im Studio aufzuzeichnen, sondern direkt auf der Bühne vor Publikum (lediglich ›Sail Away‹ und ›Pocahontas‹ entstehen im Studio). Das Ergebnis, RUST NEVER SLEEPS, setzt sich aus Live-Mitschnitten von verschiedenen Auftritten zusammen. Los geht es mit dem klassischen Singer-Songwriter an akustischer Gitarre und Mundharmonika. Und es wird gleich richtig legendär. „My my, hey hey, Rock and Roll is here to stay/It’s better to burn out than to fade away“. Das ultimative Rock’n’Roll-Glaubensbekenntnis. Young singt von Elvis und Johnny Rotten, und davon, dass es um alles geht. Dennis Hopper macht den Song 1980 zum Leitthema seines fantastischen, heute fast verschollenen Filmdramas „Out Of The Blue“ über ein Mädchen, das den Punk für sich entdeckt. Jede Menge Bezüge.

Die gibt es bei ›Thrasher‹ weniger, oder wenn dann in die Vergangenheit. Zum Fernsehen daheim bei der Mutter, zu alten verlorenen „companions“. Es geht aber auch um die Zukunft, ums Bereit­sein dafür. Es ist eins von Youngs poetischsten Liedern. In ›Pocahontas‹ träumt er davon, mit eben der zu schlafen und mit ihr und Marlon Brando am Feuer zu sitzen und sich über Hollywood zu unterhalten. Er kann durchaus auch witzig sein.

Der zweite Teil der Platte ist elektrisch verstärkt: Das mächtige ›Powderfinger‹, ›Welfare Mothers‹ mit seinen harten Riffs und sich ineinander verkeilenden Gitarrensolos und der Hardrock von ›Sedan Delivery‹. Ganz am Ende der Rückgriff zum Anfang: Jetzt heißt es ›Hey Hey, My My‹, und wer das noch nie gehört hat, hat so etwas noch nie gehört. Die monumentale Power der Band bläst einen weg. Die Gitarre klingt, als würden urzeitliche Gesteinsbrocken aufeinanderreiben.

Der gleichnamige Konzertfilm zeigt Neil Young & Crazy Horse auf der Höhe ihrer Kraft. So ziemlich alle bis dahin essenziellen Stücke sind dort versammelt, auch hier in der Zweiteilung: Neil Young als Singer-Songwriter allein auf der Bühne – und als wüster Rocker, als Bandleader und Pate des Grunge. Der Harte und der Zarte. Die beiden Pole, unmittelbar nebeneinander.

Der ganz in weiß gekleidete Sänger, Sneakers, ausgebeulte Jeans, T-Shirt und Hosenträger, die Haare nicht mehr ganz so lang wie früher, dazu seine derben Crazy-Horse-Kumpanen. Wie er die Bühne durchwandert, dann wieder, ein bisschen steif im Takt rumspringt, ist er auf seine Art genauso ikonisch wie der Comeback-Elvis oder Dylan 1965/66. Und alles vor gigantischen Lautsprechern und inmitten von über die Bühne wuselnden Technikern, die, in Kutten gehüllt, wie die Jawas aus „Star Wars“ aussehen. Eine surreale Szenerie.

Wenn man die 1979 begleitend erscheinende Soundtrack-Platte LIVE RUST noch dazunimmt, sind der schon lange wie manisch arbeitende Musiker und seine Mitstreiter ziemlich genau zehn Jahre, nachdem alles begann, am Zenit angekommen. Was für Dylan die 60er waren, sind für Young die 70er: seine maßgebliche Zeit. Und auch, wenn ihm mit Springsteen in der zweiten Hälfte ein ernsthafter Konkurrent erwächst, über die volle Distanz ist er der Songschreiber des Jahrzehnts. Erst recht zusammen mit seiner Band: ein amerikanischer Mythos.

Das erste, entscheidende Kapitel seiner Karriere ist zu Ende. Auch er selbst kommt dem, was er vor 1980 aufgenommen hat, in Qualität und Wucht erst im Übergang von den 80ern zu den 90ern wieder nahe. Vielleicht mit FREEDOM, ganz sicher mit dem überragenden Live-Dokument WELD. Damals, als ihn sich eine ganz neue Generation zum Vorbild nimmt. Aber das ist eine andere Geschichte.

„It’s better to burn out than to fade away.“ 1994 schreibt Kurt Cobain diese Songzeile in seinen Abschiedsbrief. Ihr Erfinder hat keines von beidem gemacht. Gerade bringt er zusammen mit Crazy Horse seine neues Album COLORADO raus. Er ist da, bis heute.

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1 Kommentar

  1. Sehr, Sehr Gut geschrieben.Neil Young und Crazy Horse hören ,eine Urgewalt von langen Gitarrensoli immer wieder gerne zu hören.Powderfinger ein Traum von Musik und Gesang.
    Danke für den Bericht
    M.Schramm

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