Woodstock ist vorbei, Freunde sterben an Drogen und in Hollywood breitet sich Paranoia aus. Vor 50 Jahren macht Neil Young sich auf, zum genialen Chronisten der Post-Hippie-Ära zu werden, bis Ende der 70er veröffentlicht er seine größten Alben. Die mächtigen Crazy Horse sind dabei nie weit.
Text: David Numberger
Doo Wop oder Rock, bloß Stimmen oder auch Instrumente? Die junge Band, die sich Mitte der 60er diese Fragen stellt, nennt sich Danny & The Memories. Von einem Neil Young hat damals noch keiner was gehört, in den Hitparaden liegen die Stones und die Beatles, die Kinks oder auch die Byrds ganz vorne. Besonders die ›Mr. Tambourine Man‹-Männer haben es dem Anfangzwanziger Danny angetan. So was will er auch machen, unbedingt. Das Problem: Er spielt kein Instrument, also zumindest nicht gut. Genauso wenig seine beiden Bandkollegen Billy und Ralph. Doch das lässt sich ändern.
Beeinflusst von der Psychedelic-Szene in San Francisco nennt sich das Trio zwischenzeitlich The Psyrcle und singt für Gruppen wie Sly And The Family Stone im Hintergrund. So richtig befriedigend ist das auf Dauer nicht, klar. Also gehen die drei nach Los Angeles. Danny, mit vollem Namen Danny Whitten, lernt Gitarre, Billy Talbot Bass, Ralph Molina Schlagzeug. Die Brüder und Gitarristen George und Leon Whitsell sowie der Geigenspieler Bobby Notkoff kommen dazu, und fertig sind die Rockets.
Es ist 1966, und etwa zur selben Zeit treffen Whitten, Talbot und Molina zum ersten Mal auf den jungen Songwriter Neil Young. „Sie wussten damals nicht, wie man spielt“, wird der 1970 in einem Interview mit dem Rolling Stone erzählen. „Sie hatten noch nicht viel drauf und hingen mehr so rum.“ Ein richtiger Kontakt kommt damals jedenfalls nicht zustande, beide Seiten haben anderes zu tun: Die einen, ihre Instrumente in den Griff zu bekommen, der andere, zu seinem ersten großen Wurf auszuholen.
„Es geht um Sünde und Mord, um Figuren, von denen keine unschuldig ist, aber jede allein“
Ein paar Jahre zuvor, in der ersten Hälfte der 60er, steckt der 1945 geborene Young im verschneiten Kanada fest. Er bestreitet sein Leben zwischen Winnipeg, wo seine Mutter wohnt, und Toronto, wo sein von ihr getrennter Vater lebt. Young spielt in den Folk-Clubs seiner Heimat, in denen er bald die aufstrebende Sängerin und Gitarristin Joni Mitchell kennenlernt, mit der er sich anfreundet und deren Songs er auch noch bewundern wird, als er längst ein Weltstar ist. Erst 1966 geht er fort: nach Los Angeles. „Jeder in Kanada wollte in die Staaten, zumindest damals“, erinnert er sich heute. „Ich konnte es nicht erwarten, von daheim wegzukommen, denn ich wusste: Meine einzige Chance, gehört zu werden, waren die Staaten. Aber ich konnte nicht dorthin, weil das ohne Arbeitserlaubnis nicht ging, und die hatte ich nicht. Also bin ich illegal hingezogen, ohne irgendwelche Papiere.“ Erst 1970 sollte er eine sogenannte Green Card bekommen, also das Recht, dauerhaft in den USA zu bleiben. Zunächst jedoch lebt er als illegaler Einwanderer, und es wird viel passieren bis dahin.
Kurz nach seiner Ankunft an der Westküste tut sich Young mit dem gleichaltrigen Stephen Stills zusammen, gemeinsam gründen sie ihre eigene Band: Buffalo Springfield. Die beiden stehen sich bis heute nah, nach einer Wiedervereinigung von Crosby, Stills, Nash & Young gefragt, sagte letzterer vor ein paar Jahren mal, dass es da schon gewisse Schwierigkeiten gebe, aber dass er Stephen Stills nach wie vor liebe. Jedenfalls, die beiden starten 1966 Buffalo Springfield, und was sie da in den nächsten beiden Jahren als Co-Gitarristen, -Sänger und -Songschreiber auf die Beine stellen (Richie Furay darf man natürlich auch nicht vergessen) ist schon ein ziemlicher Hammer. Zumindest die ersten beiden Alben, BUFFALO SPRINGFIELD und BUFFALO SPRINGFIELD AGAIN, gelten heute als Klassiker, und erst die Songs: ›For What It’s Worth‹, ›Flying On The Ground Is Wrong‹, ›Mr. Soul‹, ›Rock & Roll Woman‹, ›Expecting To Fly‹. Man könnte noch einige mehr nennen. Der Erfolg kommt schnell. Zu schnell. Young, Anfang 20, kommt nicht zurecht.
In einem Interview mit dem damaligen Rolling-Stone-Journalisten und späteren Regisseur („Almost Famous“) Cameron Crowe spricht er 1975 über seinen Ausstieg aus der Gruppe, es klingt fast wie eine Entschuldigung: „Der Grund war nicht, dass ich auf eine Solokarriere geschielt hätte. Es war nichts anderes, als meine Nerven. Alles passierte zu verdammt schnell, das weiß ich jetzt. Es machte mich verrückt … Ich brauchte mehr Raum. Das war ein großes Problem in meinem Kopf. Also bin ich ein paar Mal ausgestiegen, und nach einer Weile wieder eingestiegen, weil es so gut klang. Ein andauerndes Problem. Ich war nicht erwachsen genug, mit all dem umzugehen. Ich war sehr jung.“ Nun mag es vielleicht besser sein, auszubrennen als einzurosten, aber so früh muss es dann doch nicht sein. Das heißt aber auch, dass der Songwriter 1968 ohne Band dasteht.
Zurück zu Crazy Horse. Beziehungsweise zu den Rockets. Die bemühen sich, wie gesagt, ab 1966, ihre musikalischen Fähigkeiten zu steigern. Virtuosität – wer braucht die schon. Aber zumindest die grundlegende Technik, um zusammenspielen zu können, sollte vorhanden sein. Dass das funktioniert, beweist zwei Jahre später das erste und einzige Album unter dem Namen The Rockets. Ruppiger, temperamentvoller Folkrock, der sich bei den Byrds genauso bedient wie bei den Gruppen der British Invasion.
Die Platte ist noch keine Großtat und sie bleibt weitgehend unter dem Radar der öffentlichen Wahrnehmung, aber kurz darauf treffen Danny Whitten und Billy Talbot wieder auf Young – was gar keine so große Überraschung ist, schließlich bewegen sie sich alle im Umkreis der jungen kalifornischen Folkrock-Szene im Laurel Canyon. Der Songwriter und die Rockets jammen zusammen im Rock-Club Whisky A Go Go in Los Angeles, worauf Young Gitarrist Whitten, Bassist Talbot und auch Schlagzeuger Ralph Molina fragt, ob sie bei ein paar der Songs mitspielen wollen, die er gerade geschrieben hat.
Ja, sie wollen. Die folgenden Aufnahmen laufen so gut, dass ein ganzes Album daraus wird. EVERYBODY KNOWS THIS IS NOWHERE von 1969 ist das erste Meisterwerk, auf dessen Cover als Interpreten Neil Young & Crazy Horse stehen. Der Bandname bezieht sich auf den berühmten Indianerhäuptling, eingefallen ist er dem „Hollywood-Indianer“ Young, der bei Buffalo Springfield immer diese Lederjacken mit Fransen an den Ärmeln getragen hatte. Jedenfalls: Als die Platte erscheint, ist das Jahrzehnt fast zu Ende, das große Massenereignis der Hippie-Kultur steht kurz bevor, die womöglich ja wirklich einmal unschuldig gewesenen Zeiten aber sind vorbei. Auch wenn längst nicht alle das kommen sehen.
Ähnlich wie Creedence Clearwater Revival ahnt Young, dass die Zukunft unter einem schlechten Stern – beziehungsweise Mond – steht. ›Down By The River‹ und ›Cowgirl In The Sand‹ sind mehr als gewöhnliche Popsongs, es sind gespenstische Erzählungen von grausamen Taten, einsame Dokumente der Verzweiflung, des Wahns. „This much madness is too much sorrow/It’s impossible to make it today“, singt der verlassene Protagonist in ’Down By The River’. Bevor er verrät, dass er seine Freundin erschossen hat, drunten am Fluss. Genau wie im zehnminütigen ›Cowgirls In The Sand‹ (das angeblich bei 39 Grad Fieber entstanden ist und auch so klingt), liefern die Worte nur einen groben Rahmen, eine skizzenhafte Handlung, deren Lücken von den urwüchsigen, sich ineinander verkeilenden, endlosen Gitarren von Young und Whitten ausgemalt werden.
Sie sagen, was singend nicht zu sagen ist, in einer abstrakten Sprache der Emotionen, die das ganze zügellose Drama enthält, die einen zum Wahnsinn treibende Einsamkeit und die große weite Leere. Es geht um Sünde und Mord, um Figuren, von denen keine einzige unschuldig ist, aber jede allein. Es ist die Antithese zur großen Feier der friedlichen Gemeinschaft der blumenbekränzten Hippies.
EVERYBODY KNOWS THIS IS NOWHERE sei wahrscheinlich seine beste Arbeit, sagt Young noch Mitte der 70er. „Ich mag es am liebsten. Die ursprüngliche Band, die wir ’69 und ’70 hatten, Molina, Talbot, Whitten und ich. Das war wundervoll.“
Auch wenn sein Album kein Hippie-Album ist, tritt er bei Woodstock auf. Nicht als Solokünstler, aber mit Crosby, Stills, Nash & Young. Die eigentlich als Trio bekannte Formation hatte ihn eingeladen, bei ihnen mitzumachen, und er hat, trotz seiner eigenen Band Crazy Horse, zugesagt. Der Grund ist Stills. „Ich liebe es, mit den anderen beiden Jungs zu spielen, aber mit Stephen ist es etwas ganz Besonderes“, rechtfertigt er seine Entscheidung 1975 im Interview mit Crowe. „Ich wusste, dass es Spaß machen würde. Ich musste nicht allein ganz vorne stehen, sondern konnte mich entspannen und musste nicht die ganze Zeit ich sein.“ Bei CSNY ist er ein Star unter Vieren, ein Musiker wie die anderen auch. Der ganz große Druck ist weg.
An das „deprimierende Woodstock-Festival“ denkt er allerdings nicht gerne zurück, wie er 2012 gegenüber dem Spiegel verrät: „Es gab keinen Backstage-Bereich. Damit ging es schon mal los. Es war nicht so, wie man es sich vorstellt: dass Jimi Hendrix, Grateful Dead und Janis Joplin da zusammen Backstage rumhingen. Da standen nur ein Haufen Dixi-Klos und ein Sturmzaun, den die Leute immer wieder niederrissen. Ich spielte mit CSNY am dritten Tag. Ich habe es keine Sekunde gemocht. Ich mochte auch nicht, dass die da diesen Film drehten“. Young droht den Kameraleuten, ihnen eins mit seiner Gitarre überzuziehen. „Ich wollte nicht, dass die auf der Bühne filmen, weil die Jungs in der Band plötzlich nur noch für die Kamera spielten und nicht mehr für die Musik.“
Man wusste bei Woodstock, dass man im Scheinwerferlicht stand, vielleicht erahnte man auch schon ein bisschen die historische Bedeutung von all dem, das Unmittelbare, Unbedarfte jedenfalls war passé. Die Morde der Gang um Charles Manson, der Hells-Angels-Mord beim Altamont-Festival, die Verbreitung des Heroins. Young: „Was bei Woodstock noch eine Ahnung war, war jetzt offensichtlich. Aus Love and Peace wurde Hass und Gewalt. Altamont war wie ein böser LSD-Trip. Es gab keinerlei Organisation. Jeder nahm zu viele schlechte Drogen. Die Hells Angels waren überall. Ich konnte es nicht erwarten wegzukommen. Und wir haben grauenhaft gespielt.“
Der kollektive Hippie-Traum ist in einen Albtraum umgeschlagen. Und auch in Youngs unmittelbarem Umfeld sollten bald Sachen passieren, die dem Meisten, was er in den 70ern machte, eine dunkle Stimmung geben würden.
Sehr, Sehr Gut geschrieben.Neil Young und Crazy Horse hören ,eine Urgewalt von langen Gitarrensoli immer wieder gerne zu hören.Powderfinger ein Traum von Musik und Gesang.
Danke für den Bericht
M.Schramm