Angeschlagen, geknickt und zerbeult – Michael Monroes Knochen mögen marode sein, seine Musik ist es keineswegs. Mit seiner rundumerneuerten Mannschaft, zu der unter anderem Wildhearts-Boss Ginger zählt, bringt er nun ein neues Album auf den Markt: SENSORY OVERDRIVE.
Text: Lothar Gerber
Du denkst, du machst gerade eine harte Zeit durch? Dann solltest du mal einen Blick auf die Röntgenbilder der Brust von Michael Monroe werfen. Der ehemalige Frontmann der Hanoi Rocks, der seit deren 2009er-Auflösung als Solo-Künstler unterwegs ist, hat sich nämlich unzählige Verletzungen zugezogen. Kein Wunder, dass sein Cover von Nazareths Underdog-Hymne ›Not Fakin‘ It‹ einer seiner bekanntesten Hits ist. Jeder, der ihn einmal an der Lichtanlage baumeln sah oder ›Dead, Jail Or Rock’n’Roll‹ gehört hat, weiß, dass Monroe sich nichts schenkt – auch im gesetzteren Alter nicht. „Ich habe mir vergangenes Jahr innerhalb weniger Monate ein paar Mal die Rippen gebrochen“, schmunzelt Monroe, während er zu Hause im finnischen Turku auf der Couch sitzt. „Das erste Mal passierte es, als ich habe mit Slash im japanischen Osaka gejammt habe. Während der Show rannte ich auf das Publikum zu, rutschte aus und krachte mit dem Rücken gegen die Absperrung. Zunächst dachte ich mir nichts dabei, sondern ärgerte mich nur, dass ich auf der rechten Seite nicht mehr liegen konnte. Doch am nächsten Tag stand eine noch größere Show an, und zwar in Tokio. Ich litt Höllenqualen wäh-rend des Sets und wusste nach dem Konzert, dass etwas wirklich nicht stimmt. Also bin ich zum Arzt gegangen. Diagnose: zwei gebrochene Rippen – ich hatte Glück, dass sie mir keinen Lungenflügel durchstochen hatten.“
Man könnte meinen, Monroe hätte danach einige Zeit die Füße hochgelegt. Doch weit gefehlt: „Ein paar Monate später ging’s mir besser. Also absolvierten wir eine kleine Tour durch Skandinavien. Beim letzten Gig in Finnland kletterte ich auf die Lichtanlage – und rutschte aus. Es war das erste Mal, dass mir das passiert ist. Ich stürzte drei, vier Meter zu Boden. Unten prallte ich mit meiner unversehrten Seite auf – und brach mir erneut zwei Rippen. Das gab mir echt zu denken. War wohl nicht die cleverste Idee, mich mit dem Kopf nach unten dort hinzuhängen“, rekapituliert Monroe lachend. „Vielleicht sollte ich mein Leben lieber nicht mehr aufs Spiel setzen. Ein bisschen Akrobatik: ja. Aber das war’s dann auch. Schließlich bin ich Sänger!“
Neben den todesverachtenden Sprüngen schaffte Monroe im Jahr 2010 auch noch weiteres Kunststück: Er scharte eine neue Band mit vorzüglichem Line-up um sich – und nahm mit ihr das beste Album seiner 20-jährigen Karriere auf: SENSORY OVERDRIVE. Hanoi Rocks-Bassist Sami Yaffa ist wieder dabei, neu an Bord sind New York Dolls-Gitarrist Steve Conte und der ehemalige Danzig-Drummer Karl Rockfist. Das letzte Puzzlestück fügte sich bei einer Show von Alice Cooper ins Bild: Zu diesem Gig ging Monroe nämlich mit Ginger, dem Chef der Wildhearts. Die beiden quatschten und quatschten, Monroe berichtete von seiner neuen Musikermannschaft und machte Ginger damit scharf. Und zwar so lange, bis dieser ihn bat: „Egal, wer Rhythmus-Gitarre spielt: Schmeiß ihn raus!“ Monroe tat, wie ihm geheißen – und holte sich damit nicht nur ein famosen Gitarristen, sondern auch einen veritablen Songwriter ins Boot. „Ich will mich nicht selbst loben“, erklärt Ginger ganz und gar unbescheiden, aber fröhlich, „doch ich habe die meisten Songs auf dem neuen Album geschrieben. Das bisherige Material fand ich nämlich ein bisschen altbacken – wir brauchten dringend stärkere Songs.“ SENSORY OVERDRIVE hört man das an: Der Sound changiert zwischen Hanoi Rocks und den Sex Pistols, obendrauf gibt’s noch eine Prise Johnny Cash.
Mit der Platte im Kasten ging es zunächst auf UK-Tour mit Motörhead, doch die 30-Minuten-Sets waren so gar nicht nach Monroes Geschmack, wie Ginger erzählt: „Michael schaltet nach einer halben Stunde noch nicht mal in den zweiten Gang. Das ist nur ein beschissenes Vorspiel für ihn! Sicher: Es ist super, mit Lemmy zu touren. Aber dennoch wird es uns gut tun, bei unseren Solo-Gigs eine Spielzeit von anderthalb Stunden zur Verfügung zu haben. Nur so ist es möglich, Intensität aufzubauen.“ Was Michael Monroe und seine frisch formierte Crew 2011 so viel und so oft wie möglich machen will. Am besten ohne Rippenbrüche.