Die Raygun Rebels kommen aus dem Landkreis Rosenheim und wem jetzt ein besserwisserisches Lächeln auf dem Gesicht erscheint, der lasse sich kurz eines besseren Belehren: Diese vier Jungs haben sich im Laufe der letzten Jahre einen ordentlichen Ruf innerhalb und außerhalb der regionalen Grenzen erspielt und liefern kein rurales Flair, wie man es vielleicht von manchen Bands am heimischen Stadtfest gewohnt sein mag, sondern knackigen, feurig-scharfen Rock’n’Roll, der mal in die schnelle Hard-Rock-Ecke, mal auf der eingängigeren 80er-Schiene fährt. Trotz frühem und schwülem Vorprogramm-Slot ist die Location binnen kürzester Zeit und völlig zurecht mindestens halbvoll und schon jetzt am Feiern.
Zum Headbanger ›Some Balls‹ fliegen die geballten Fäuste in die Luft, beim letzten, von Los Angeles inspirierten ›Bring Me Home‹ – unter Kennern bereits ein Klassiker der Band – ist sich dann das ganze Backstage einig, dass die Rebels hier einen würdigen Einstieg in den Abend ermöglicht haben.
Nach einer kurzen Umbaupause kommen dann schon Thundermother auf die Bühne gefegt. Filippa Nässil trägt jetzt statt Shorts und Shirt Jeans und Kutte, wie sich das eben für ein ordentliches Rock-Outfit gehört. Die anderen Damen haben sich ihr optisch angeschlossen und rütteln unbeeindruckt von der Hitze, die gerade anfängt, auf die Spitze zuzutreiben, ihr Set aus den abgeschnittenen Ärmeln. Fast könnte man meinen, das ganze Werk besteht aus dem Thundermother-Fanclub, den Filippa vorher im Interview erwähnt hatte. Schon jetzt ist jeder Platz bis auf den letzten Zentimeter besetzt. Die Leute schwitzen sich alle Wässerchen aus dem Leib und feiern die Band so, als wären sie der eigentliche Hauptact des Abends.
Verdenken kann man es ihnen nicht, schließlich ist das schon eine coole Kombo oben auf den Brettern: Im Fokus auf der einen Seite Nässil, die ihrer Gitarre mit größter Lässigkeit hochenergetische Riffs entlockt, dazu die blonde Mähne schüttelt und das Publikum animiert, auf der anderen Seite dann Sängerin Guernica Mancini mit ihrer wirklich zum Sound passenden Reibeisenstimme und Bühnenpräsenz. Gegen Ende ihres Sets sinkt dann der Sauerstoffgehalt drinnen auf so niedrige Werte, dass man sich nach draußen flüchten muss, wo es zwar nicht unbedingt kühler ist, aber man wenigstens etwas durchatmen kann. Im Anschluss an ihre erfolgreiche Show werden Thundermother dann am Merch-Stand noch von ihren Fans belagert…
Die Sorge um den kommenden Auftritt von Angry Anderson steigt stetig und direkt proportional zu den eigenen Hitzewallungen, doch als Rose Tattoo gegen 22:00 Uhr mit einer etwas in die Länge gezogenen Version von ›Bad Boy For Love‹ anfangen, tritt der 71-Jährige mir und meiner Sorge einfach mal elegant in den Arsch.
Seinen Arbeiter-Overall hat Anderson bis unter den Bauch geöffnet, um der Luftzirkulation wenigstens eine Chance zu geben, ein wenig Energie gespart wird sowohl bei der Geschwindigkeit der Songs als auch bei den Textpassagen: Hier und da lässt er ein bisschen was weg, um besser Luft holen zu können und das darf dieser Mann auch gerne. Den folgenden Klassikern ›Rock’n’Roll Outlaw‹ und ›Scarred For Live‹, mit der Rose Tattoo den Anfang ihres Sets bestücken, tut dies keinen Abbruch, außer, dass sie vielleicht etwas weniger angriffslustig und bissig klingen. Da ja aber in keinem Gesetzbuch geschrieben steht, dass sich Songs und deren Stimmungen nicht ein wenig wandeln dürfen, darf man den Liedern gewiss einen kleinen Reifungs- und Anpassungsprozess zugestehen. Am schönsten ist an solchen Veranstaltungen ja sowieso meistens, dass man einer Legende wie dieser hier beim Spaßhaben zusehen darf.
Auch Angrys Begleitband bringt die Songs auf den Punkt. Dass Mark Evans hier am Bass steht, sorgt vor allem bei einigen AC/DC-Fans für leichte Aufregung. Einer meint während der Show: „Den Evans müsste ich mir nachher noch abfangen, ein Autogramm für meinen Schrein holen“ und ich wünsche ihm wirklich, dass er den ersten Bassisten von Accadacca später noch abpassen konnte. Zeuge dieses Vorgangs konnte ich selbst leider nicht mehr werden, da mir nach den ersten 40 Minuten dummerweise die Luft zum Atmen wegblieb und das wortwörtlich: Die Temperatur in der brodelnden, vollgesteckten Venue – die vielen gestandenen Rocker halten das natürlich aus – löst langsam Schwindel aus, die Beine werden weich wie Butter. Der prophezeite Hexenkessel hat sein Werk vollbracht.
Mit größer Sicherheit jedoch werden Rose Tattoo ihren Fans gestern bis zur letzten Sekunde eine denkwürdige Show geliefert haben, so wie sie es im Zuge ihrer letzten Tour beispielsweise schon in Aschaffenburg getan haben.