Der Rock’n’Roll kennt kein Hitzefrei…
Erstmals seit der Aufzeichnung des deutschen Wetters liegt die Temperatur in Deutschland bei 42,6 Grad. Das ist eine Zahl, die man sich erst einmal auf der Zunge zergehen lassen muss. Auch wenn es in München vielleicht 5 Grad kühler sein dürfte, so richtig frisch geht anders.
Man selbst schleppt sich nur äußerst mühsam zum Free&Easy-Festival ins Backstage und hat prophylaktisch schon mal Mitleid mit den drei Bands, die an diesem Abend das Backstage Werk bespielen dürfen, sollen, müssen. Vor allem der Gedanke „Hoffentlich steht der Angry das durch“ dominiert für einige Zeit das im eigenen Saft köchelnde Hirn. Man geht davon aus, dass sich die Location binnen kürzester Zeit in einen brodelnden Hexenkessel verwandeln wird – es ist restlos ausverkauft, bereits vor dem Eingang drängen sich schwitzende Menschen nebeneinander – und man sollte natürlich Recht behalten.
Doch bevor es in die Venue hineingeht, trifft man sich erst noch mit einer gut gelaunten Filippa Nässil auf ein alkoholfreies Getränk im Biergarten. Die Bandleaderin von Thundermother erwartet mich in Shorts und Shirt, entspannt nuckelt sie an ihrer E-Zigarette, während wir unverbindlich über ihre neueren Bandmitglieder, ein kommendes Album, das verdammte Wetter und ihren herrlich erfrischenden, fast aber nicht nachvollziehbaren, Optimismus sprechen.
Wie schlägst du eigentlich die Zeit auf Tour tot?
Wie jede Band weiß, werden wir für das Warten zwischendurch bezahlt, die Show abends ist nur für das Vergnügen. Wir alle entspannen uns natürlich anders, aber aktuell lernen wir Sprachen mit Apps und Büchern: Ich und die Sängerin lernen Französisch, unsere Schlagzeugerin Deutsch. Das ist die eine Sache, natürlich schauen wir auch einfach nur Filme oder hören Musik. Demnächst möchte ich aber ein tragbares Homestudio mitnehmen, wenn wir touren, damit ich direkt auf Tour an Demos arbeiten kann.
Songs schreibst du ja wahrscheinlich sowieso…?
Ja natürlich, man schnappt so viel auf überall, jemand sagt etwas, eine Momentaufnahme von irgendetwas, das muss man sich immer aufschreiben. Das Problem auf Tour ist, dass es recht anstrengend ist und wir uns schon oft auch einfach im Auto ausruhen müssen so gut es geht. Wenn man nicht gerade im Nightliner unterwegs ist – das ist echt fast wie Urlaub – ist das ganze Hin- und Her zwischen Ländern, Städten, Bühnen, Hotelzimmern ziemlich kräftezehrend. Du musst das hier wirklich lieben, sonst hältst du das gar nicht durch. Und wir wollen alles geben. Ich habe gerade erst meinen Job gekündigt, die Sängerin wird bald dasselbe tun, eine ist gerade mit der Schule fertig und wir werden uns nur hierauf konzentrieren.
Seid ihr schon an einem neuen Album dran?
Oh ja, wir haben schon so viele Songs geschrieben wie noch nie zuvor. Ich mache immer noch den Großteil selber, aber ein paar Lieder haben wir auch zusammen mit einem Songwriter im Studio geschrieben. Das war eine sehr interessante Erfahrung, einige der Tracks sind also so entstanden. Dadurch habe ich auch wirklich nochmal viel dazu gelernt, man muss immer offen bleiben, auch wenn es für mich manchmal schwer ist, ein wenig Verantwortung abzugeben. Außerdem wird mehr Geld in die Produktion fließen, das Ganze größer aufgezogen werden. Deswegen habe ich dieses Mal auch so viel Material geschrieben, normalerweise fallen mir 17 ein, von denen nehmen wir dann 13. Aber für das kommende Album habe ich etliche Demos aufgenommen…
Ich habe mal mit Jesper Binzer von D-A-D gesprochen und er meinte: Für jeden Song auf dem Album gibt es zehn Tracks, die dafür im Müll landen.
Ja, das war bei uns dieses Mal auch so. Wir sind ja auch schon mit D-A-D getourt, ich liebe diese Typen. Lustigerweise ist Jespers Kumpel einer der Songwriter, mit denen wir zusammen gearbeitet haben.
Das hört sich ja jetzt an, als würdet ihr demnächst nochmal gut Gas geben wollen.
Ja, wir wollen eben das nächste Level erreichen. Ich für meinen Geschmack könnte immer auf dieser Ebene bleiben, um ehrlich zu sein. (lacht) Ich liebe das alles, aber das Management und auch die anderen Girls aus der Band wollen immer mehr, ich bin da eigentlich am entspanntesten. Ich will einfach nur spielen. Aber natürlich habe ich auch nichts dagegen, etwas größer zu werden.
Ist eure Verbindung zu deutschen Fans eigentlich besonders?
Ja, Deutschland ist unser Lieblingsland was das Touren betrifft. Hier sind so viele Musiker, Rock’n’Roll-Leute, so viele Städte, die uns haben wollen. Das macht uns echt glücklich. Außerdem sind die Deutschen irgendwie treue Fans, hier gibt es Leute, die zu jeder unserer Show kommen, die haben sogar einen Thundermother-Fanclub gegründet.
Wie kriegst du das heute mit der Temperatur hin?
Ja, das ist schwierig. Ich bin etwas krank und wir sind total kaputt heute. Aber ich denke mir, vielleicht ist es gar nicht schlecht, die Erkältung ordentlich rauszuschwitzen. Außerdem kann mich nichts besiegen, ich vergesse eh alles um mich rum, wenn ich spiele.
Vor zehn Jahren hast du deine ersten Songs für Thundermother geschrieben. Was haben dich diese 10 Jahre gelehrt?
Alles. Mein ganzes Leben erlernte ich in diesen Jahren. Ich lernte, schwere Zeiten durchzustehen, mich selbst einzuschätzen, stark zu bleiben. Und die Gruppendynamik war nicht immer einfach, auch diesbezüglich habe ich so viele Erfahrungen gesammelt. Ich fühle mich aktuell einfach erfahren, zum ersten Mal in meinem Leben weiß ich, was ich tue. Das ist ein schönes Gefühl. Ich bin einfach so zufrieden.
Oha, das klingt ja überaus angenehm und positiv.
Total. Ich bin ein Optimist. Ich sehe allem immer positiv entgegen.
Wir schreiben heute den heißesten, jemals gemessenen Tag in Deutschland, das Klima geht vor die Hunde und die Trumps dieser Welt wüten: Wie bleibt man da optimistisch?
Keine Ahnung, ich setze einfach viel Hoffnung in die junge Generation. Sie wachsen mit dem Bewusstsein auf, dass unser Klima bedroht ist. Ich glaube, sie werden dafür eine Lösung finden. Die Jugend wird unsere Rettung sein.
Interessiert sich diese Jugend für Thundermother?
Naja, noch nicht genug. Wir arbeiten aber dran. Ich hoffe, das nächste Album wird den jungen Leuten etwas mehr gefallen. Wenn ich mir aber so anschaue, wer auf mein Instagram oder Facebook reagiert, dann sind das meistens Typen über 35. Die sind natürlich willkommen, aber wir wollen natürlich auch die jungen Leute überzeugen. Ich empfinde das schon so, dass wir hier eine Mission haben. So alt bin ich auch noch nicht, ich trage dieses Erbe weiter und ich hoffe, dass die Jugend den Staffelstab übernehmen wird. Auch aus weiblicher Perspektive ebnen wir da vielleicht den Weg für viele Mädchen, die sich dann einfach noch mehr trauen, ein Instrument zu spielen.
Wie fühlst du dich mit deiner aktuellen Bandformation?
Oh so gut. Ich finde, wenn man an seine Musik und das Bandkonzept glaubt, sollte man nicht aufgeben, auch wenn andere die Band verlassen. Mein Leben heute fühlt sich so einfach und leicht an, so war es noch nie. Und das Leben darf von mir aus super leicht sein, auch wenn das natürlich nicht immer geht. Trotzdem lohnt sich der Kampf vorher für ein solches Ergebnis, dieses Gefühl ist all den Schmerz vorher Wert. Ich war noch nie glücklicher als heute…
Schon während der letzten Minuten des Interviews tönte es plötzlich laut aus dem Werk heraus, ein eindeutiges Zeichen dafür, dass die Raygun Rebels gerade ihr Vorprogramm starten…
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