Auch der Klang des Albums war etwas eigenartig. Das Debüt war knackig, doch HOTTER THAN HELL war so trüb wie der Smog von L.A. Ein Lo-Fi-Ansatz, der die Platte zu einem wichtigen Einfluss für den Grunge der 90er machen sollte – die Melvins, verehrt von Kurt Cobain, nahmen für ihr Album HOUDINI von 1993 eine Coverversion von ›Goin’ Blind‹ auf. 1974 jedoch war HOTTER THAN HELL nicht das Album, das Kiss ans Ziel bringen sollte.
Es erschien am 22. Oktober 1974 und ein Bandmitglied hatte Glück, die Veröffentlichung
überhaupt mitzuerleben. Ace Frehley, seit jeher unberechenbar, verbrachte eine wilde Nacht in Los Angeles. Später erinnerte er sich, abgeklärt wie immer: „Ich hatte einen Autounfall. Eines Abends betrank ich mich und fuhr durch die Hollywood Hills. Ich fuhr immer schneller, bis ich die Kontrolle über den Wagen verlor und in einen Telefonmasten krachte. Da stellte
ich wohl das Schicksal auf die Probe …“
Die Verletzungen, die er im Gesicht erlitt, waren zwar nicht schwer, wurden aber zum Problem, als Fotograf Norman Seeff die Band in einem Studio in Hollywood für das Albumcover ablichtete. Ace erklärte: „Dieser Arzt erklärte mir, dass ich nur eine Hälfte meines Gesichts schminken durfte“. Das Bild musste später nachbearbeitet werden. Doch so unwohl sich Ace zu Beginn der Session gefühlt haben mag, es war schnell vergessen. Um eine dekadente Atmosphäre zu erschaffen, hatte Seeff für Mädchen und Alkohol gesorgt. Als die Fotos im Kasten waren, hatte sich selbst der für gewöhnlich zurückhaltende Paul Stanley so abgefüllt, dass Gene ihn zu einem wartenden Auto tragen musste.
Kiss verließen L.A. im September 1974 und gingen sofort wieder auf Tour. Manager Bill Aucoin gab ihnen eine Gehaltserhöhung: von 70 auf 80 Dollar pro Woche. Die nach wie vor mageren Verkäufe von HOTTER THAN HELL gaben keinen Anlass, das zu ändern, doch mit ihren Konzerten brachten Kiss Abend um Abend den Hype ins Rollen. Wie Kenny Kerner sagte: „Für die Kids waren diese Jungs Superhelden“. Sie brauchten nur noch den einen Hit, um auf nationaler Ebene den Durchbruch zu schaffen. Neil Bogart war sich dessen sicher. Als die Band dann Ende denn Jahres für eine Show wieder nach Los Angeles
kam, sagte er Paul Stanley sehr detailliert, was für ein Song das sein sollte: „Neil sagte, dass wir eine Hymne brauchten. Und man sollte ihm zugute halten, dass das Konzept der Rock’n’Roll-Hymne damals noch gar nicht existierte. Seine Gedanke war der: ‚Ihr braucht etwas, das für eure Fans zum Schlachtruf werden kann – etwas, das auf den Punkt bringt, wofür ihr steht‘.“
Paul wählte den richtigen Ort, um den Song zu schreiben: sein Zimmer im berühmten Hotel Hyatt House am Sunset Boulevard. Es wurde später, nach all den wilden Partys dort, als „The Riot House“ bekannt – unter anderem fuhr Led Zeppelins trinkfester Schlagzeuger John Bonham einmal mit einem Motorrad durch die Flure. Paul schnappte sich eine akustische Gitarre und hatte die Nummer in ein paar Minuten geschrieben. „Die Akkorde und die Melodie entstanden sehr schnell, und auch den Text hatte ich sofort im Kopf: ‚I wanna rock and roll all nite and party every day‘. Das war sehr auf den Punkt und sehr direkt, denn es war nichts, über das ich mir groß den Kopf zerbrochen hatte. Ich denke nicht, dass die Leute damals viel darüber redeten, feiern zu wollen. Es war einfach ein Weg, in einem Wort zu beschreiben, wie man es krachen lässt. Rock’n’Roll jeden Abend und Party jeden Tag ist keine physische Handlung, sondern eine Einstellung. Eine Sichtweise auf das Leben, eine Geisteshaltung – über Befreiung und das Feiern der Individualität.“
Der Song wurde vervollständigt durch eine Strophe von einem unfertigen Werk von Gene, ›Drive Me Wild‹. „Ich hatte nie den Refrain“, so Gene, „aber ich hatte diese Idee von einem Auto als Metapher für eine Frau. ‚You drive me wild, I’ll drive you crazy‘. Die Bauteile wurden also im Wesentlichen zusammengesteckt. Meine Strophe und Pauls Refrain, fertig war das Lied.“
Als Neil Bogart ›Rock And Roll All Nite‹ hörte, war er begeistert. Was Paul und Gene aber überraschte, war das, was Bogart bald darauf sagte. Er hatte sich zum Produzenten des dritten Albums der Band ernannt. Später wurde klar, dass dies ein politisches Manöver gewesen war. Als konkurrierende Plattenfirmen Interesse an Kiss zeigten, hatte sich ein Machtkampf zwischen Bogart und Bill Aucoin entwickelt. Als ihr Produzent, der tagein, tagaus mit ihnen im Studio sein würde, konnte Bogart sie in seiner Nähe behalten.
Nach zwei Platten innerhalb von einem Jahr und unablässigem Touren hatte die Band für DRESSED TO KILL nicht mehr viele Songs in der Schublade. Um neues Material aufzutreiben, blickten Paul und Gene zurück und überarbeiteten zwei Stücke von Wicked Lester, ›She‹ und ›Love Her All I Can‹. Doch wie Paul sagte: „Gene und ich konnten
schnell schreiben, und das taten wir bei DRESSED TO KILL – wir schrieben morgens und als die anderen auftauchten, war da ein fertiger Song.“
›Room Service‹ war ein echter Paul Stanley, hüftwackelnder Rock’n’Roll, vollgepackt mit Zweideutigkeiten. „Ich lebte damals aus dem Koffer“, sagte er, „und ernährte mich von Zimmerservice in allen möglichen Formen.“ ›C’mon And Love Me‹ mit seinem selbsterklärenden Titel war laut Paul ebenfalls „sehr autobiografisch“. Auf ›Rock Bottom‹ sangen Paul und Ace in perfekter Harmonie. Das wunderschöne akustische Intro stammte von einem Instrumental aus Aces Feder, den „tatsächlichen Song“, so Paul, hatte er ebenfalls von ›All Right Now‹ ausgeborgt. Gene wiederum steuerte ›Two Timer‹ bei, in dem er sich mit einem Hauch Ironie über eine untreue Frau beklagte.
Aufgenommen wurde DRESSED TO KILL schließlich im Februar 1975 auf heimischem Terrain, in den Electric Lady Studios in New York. Bogart fasste als Produzent den weisen Entschluss, keine Experimente zu wagen und alles schön einfach zu belassen. Und wie Ace sagte: „In dieser Platte steckte viel Energie“. Das Coverfoto wurde von Bon Gruen an der Ecke 23rd Street und 8th Avenue geschossen und zeigte das bizarre Bild der maskierten Rock’n’Roller in Anzügen, wobei Gene auch noch die Clogs von Gruens Frau trug.