„Kauzig“ ist wohl der passende Begriff, wenn man J. Mascis mit einem Wort umschreiben möchte. Doch obwohl er alles andere als kommunikativ ist, hat er es weit gebracht – und zwar wohl gerade deswegen, weil er sich primär um seine Musik kümmert, nicht ums Netzwerken.
Text: Arno Frank
J. Mascis ist unbeschädigt. Er wirkt nur so, als sei er schwer traumatisiert von einem schicksalhaften Vorfall, den kein normaler Mensch sich vorzustellen vermag. Die in Ehren ergrauten Haare trägt er knapp über Schulterblattlänge, was ihn wie einen nerdigen jungen Bruder von Gandalf erscheinen lässt. Auf der Nase trägt der 45-Jährige meistens eine Brille von kolossaler Klobigkeit spazieren, und selbst in seinen Holzfällerhemden wirkt er bisweilen etwas aufgeschwemmt. Er spricht nicht. Er schweigt und baut in sein Schweigen manchmal Pausen ein, in denen er etwas sagt. Und wenn er et-was sagt, dann tut er das. Extrem. Also. Wirklich. Sehr. Sehr. Sehr. Laaaangsam. Und ohne wirklich etwas zu sagen: „People think I’m lazy because I talk so slow“, sagte er einmal in einem Interview. Und auf die Nachfrage, warum zum Teufel er denn so langsam rede, denkt J. Mascis sehr, sehr, sehr laaaange nach, bevor er antwortet: „I don’t know, I guess it’s because I’m lazy“.
Vielleicht wird er ja inzwischen deshalb als der Mann gefeiert, der über mehr als ein Jahrzehnt so einsam wie eisern die flackernde Fackel des E-Gitarren-Solos hochgehalten hat – in einer Zeit, als schon allein der Begriff „E-Gitarren-Solo“ zu einem unanständigen Schimpfwort verkommen schien. Ja, vielleicht war J. Mascis einfach nur zu faul, um jemals damit auf-zuhören. Es gibt, Van Morrison vielleicht ausgenommen, kaum einen zweiten Musiker, der unter Musikjournalisten so sehr als „Angstgegner“ gilt. Nicht, weil Mascis zynisch, aggressiv, sarkastisch, eitel oder schlicht blöde wäre. Sondern weil er jede Frage in einem Zustand habitueller Tiefenentspannung entgegennimmt, stundenlang darüber nachdenkt, um irgendwann ein „Ja“, ein „Nein“ oder ein entschiedenes „Ich weiß nicht“ auszuspucken. Manchmal auch nur ein Schulterzucken. Nicht, weil für ihn ein Interview ein Ringkampf wäre. Sondern weil er ein profundes Desinteresse an verbaler Kommunikation ausstrahlt. Ein J. Mascis – das J. steht für Joseph – lässt sich nicht auf interessante Gespräche ein und liefert auch keine Anekdoten. Was schade ist, denn er hätte einige zu erzählen.
Seine Karriere begann keineswegs mit einem Paukenschlag, sein Aufstieg war alles andere als steil und erinnerte weniger an eine Rakete als vielmehr an eine startende, vollbeladene Iljuschin: laut, langsam und bedrohlich nah am Boden der Tatsachen. 1984 spielte er mit seinem Schulkameraden Lou Barlow in der obskuren Hardcore-Punk-Band Deep Wound – Schlagzeug, nicht Gitarre. Beide gründeten eine Gruppe namens Dinosaur, was eine Hippie-Band gleichen Namens auf den Plan rief. In Anspielung auf das hohe Alter der klagenden Hippies (es handelte sich um die Gruppe des Texters von Grateful Dead) nannten sie sich fürderhin Dinosaur Jr. – und ähnlich wuchtig gingen sie auf ihren ersten Platten zugange. BUG und YOU’RE LI-VING ALL OVER ME lebten von knalligem Punk, scharfkantigem Metal, sämigem Noise und einer überraschend großen Portion handfester, folkgrundierter und mitsummbarer Melodien, die – hatte man sie unter den Schuttbergen aus Krach erst mal erkannt – den Hörer kaum mehr losließen.
Dinosaur Jr. jedenfalls war J. Mascis’ „Baby“. Ein Angebot, als Schlagzeuger bei Nirvana einzusteigen, lehnte er Ende der Achtziger ab. Zu wichtig war ihm inzwischen die E-Gitarre, eine Fender, und was sich damit alles anstellen ließ. In die neunziger Jahre schlichen sich Dinosaur Jr. dann schon ohne Bassist Lou Barlow, der sich seinem Projekt Sebadoh widmete, und auch ohne Schlagzeuger Murph. Die Band war ein Ein-Mann-Projekt geworden – und J. Mascis der eine Gitarrist, der vor dem Hintergrund von Drum’n’Bass und schmucklosem Grunge weiterhin unverdrossen seine Soli spielte. Bis er weit und breit als der „last guitarist standing“ galt, als der er heute verehrt wird.
Obwohl Dinosaur Jr. seit 2005 wiederversöhnt in Originalbesetzung musizieren und touren, veröffentlicht Mascis weiterhin Musik auf eigene Rechnung. Sein aktuelles Album SEVERAL SHADES OF WHY ist insofern ungewöhnlich, als er darauf erstmals auf seine ausdauernden Soli verzichtet. Entsprechend matt klingt es daher auch stellenweise, fast intim. Was fehlt, das sind die beredten, muskulösen und geradezu verplapperten, verblüffende Volten und Widerhaken schlagenden Soli. Im persönlichen Gespräch ist der Mann von einem aufreizend stoischen, beinahe schon depressiven Phlegma. An der Gitarre ist er das exakte Gegenteil. Vielleicht ist das ja sein Geheimnis: Beide Welten streng getrennt zu halten und dafür zu sorgen, dass die Energie nur der Stromgitarre zufließt – und nicht verschwendet wird an das Reden oder ein Nachdenken über die Stromgitarre. Ein solches Leben freilich hat seinen Preis, und J. Mascis hat ihn bezahlt. Der Mann ist ein Schrat. Beschädigt ist er nicht.