Iggy Pop hat gerade ein stargespicktes neues Album veröffentlicht und wird dieses Jahr auch wieder
live zu bewundern sein. Mit uns sprach er über das Ende seiner Stagediving-Zeit, Sucht, seine Wertschätzung für das Wort „fuck“, seinen Kakadu und den Anruf, den er endlich von der Rock And Roll Hall Of Fame erhalten hat Nach dem jazzlastigen, nachdenklichen Album FREE von 2019 kehrt der rast- und hemdlose „Großvater des Punk“ Iggy Pop auf EVERY LOSER mit Klasse zum Vollgas-Rock zurück.
Produziert von Andrew Watt, finden sich A-Listen-Stars wie Chad Smith, Duff McKagan, Stone Gossard, Dave Navarro, Travis Barker, Taylor Hawkins, Josh Klinghoffer und Eric Avery auf einem Werk zusammen, das den einstigen Stooges-Derwisch in bekannter, ausgiebig fluchender Topform zeigt. Auch wenn das gewohnte Stagediving nun endgültig der Vergangenheit angehört.
Wie kam es zu der Zusammenarbeit mit Andrew Watt?
Ich bekam eine Anfrage von Morrissey, ob ich zu einem Track murmeln wolle. Also schickte er mir den Song, der mir gut gefiel, und erwähnte, dass er mit einem außergewöhnlichen Produzenten arbeite. Als ich das erste Mal mit Andrew sprach, noch bevor wir mit der Arbeit begannen, sagte er: „Bist du bereit, du selbst zu sein?“ Was die Frage aufwirft: „Welches Selbst?“ Aber ich wusste, was er meinte. Dann schickte er mir ein paar Stücke, die er praktisch aus dem Nichts mit Chad, Duff, Josh und später noch ein paar anderen Leuten erschaffen hatte. So ging das los.
Stone Gossard, Dave Navarro, Travis Barker und Taylor Hawkins sind ebenfalls auf dem Album zu hören.
Das ist alles Andrew zu verdanken. Duff kenne ich aber schon, seit er Anfang 20 war. Er und Slash wirkten bei [Iggys 1990er Album] BRICK BY BRICK mit. Ich besuchte Duff öfter zu Hause – damals versuchte er, sich zwischen dem Playboy-Model, mit dem er ausging, und der Wetterfrau zu entscheiden – und wir probten. Slash kam mal drei Stunden zu spät und entschuldigte sich: „Sorry aber meine Schlange ist in die Wand entkommen.“ Bevor wir mit der Arbeit loslegten, sagten sie: „Wir müssen disktuieren, bevor wir anfangen.“ Also kamen sie mit einer Gallone Wodka und einer Schüssel voll Koks an – und indem wir das gemeinsam durchlebten, lernte ich sie ziemlich gut kennen. Chad ist aus Detroit, als kleiner Junge mochte er die Musik der Stooges und ich jammte mit ihm, als Dave [Navarro] Gitarrist der Peppers war. Dave und Eric Avery kenne ich, seit sie Kinder waren. Sie hatten gerade erst Jane‘s Addiction gegründet und noch keine Platte veröffentlicht, aber sie spielten schon in einem halblegalen Club namens Scream, der einem Freund von mir gehörte. Sie sagten: „Kannst du uns helfen?“ Also nahm ich sie auf ihre erste Tour mit und sie bliesen mich jeden Abend absolut von der Bühne. Einige dieser Typen kannten mich also schon, und das half. Ich war nicht nur irgendein Kerl, den sie in einer Zeitschrift gesehen hatten.
›Frenzy‹, die erste Single von EVERY LOSER, könnte den Mainstream knacken – wenn der Refrain nicht mit der Zeile „I‘m in a frenzy, you fucking prick“ anfinge …
Nun, ich bin nicht der Typ von „fucking prick“, den solcher Scheiß kratzt. Ich hatte mal eine ähnliche Diskussion mit einem sehr, sehr berühmten, groß im Mainstream präsenten Gitarristen, mit
dem ich zum Spaß etwas gemacht hatte, das ›I Need A Fuck‹ hieß. Er sagte zu mir: „Wenn du den Text änderst, könnte das im Radio laufen.“ Und ich erwiderte: „Es gibt kein Radio mehr, und falls doch, interessiert es keinen mehr.“ Mir ist wichtig, dass bei allem, was ich mache, mein Part die Energie und das Feeling des Songs toppt. Hätte ich etwas mit einer kommerziellen Strategie im Hinterkopf gesungen, vor allem angesichts meiner begrenzten stimmlichen Fähigkeiten – ich kann nicht über vier Oktaven trällern –, wäre das ein äußerst zahmer, lahmarschiger Track geworden. Da ich nun mal ein so seltsamer Mensch bin, musste ich fluchen, um einen guten Job zu machen. Für
das, was mir vorschwebte, waren es die richtigen Worte. So, wie normale Leute reden.
Du bist eindeutig schon immer ein großer Fan des Wortes „fuck“. Ich weiß noch, wie ich zum ersten Mal METALLIC KO hörte und du ›Cock In My Pocket‹ mit „One-two-fuck you pricks!“ anzähltest. Fluchen auf olympischem Niveau!
Oh, vielen Dank. Das ist auch sehr gut phrasiert. All die technischen Aspekte, die Phrasierung und Atmung, ware absolut korrekt für diese Art von Gesang.
War das Fluchen eine Tradition in der Osterberg-Familie?
Nein, ich bin das schwarze Schaf, der Freak. Meine Eltern verhielten sich vor- bildlich: kein Fluchen, kein Trinken, kein Rauchen, kein gar nichts … Wun- dervolle Menschen. Aber sie taten das, was sie tun mussten, und ich musste nun mal das tun, was ich tun musste.
In deinen exzessivsten Zeiten, der Spätphase der Stooges, in denen du nach diversen Dingen süchtig warst, bist du da zum Weihnachtsessen nach Hause gekommen oder hast den Thanksgiving Truthahn angeschnitten? Und falls ja, wie war das für dich?
Mehr oder weniger. Vielleicht nicht in den allerhärtesten Zeiten. Aber wenn ich in Detroit oder in der Nähe spielte, stellte ich sicher, dass ich meine Eltern besuchte, wenn Zeit dafür war, und
wenn nicht, lud ich sie backstage ein. Als ich mit Bowie auf der Tournee zu THE IDIOT war, wollte er die Wohnwagensiedlung und unseren Wohnwagen sehen, also besuchte er meine Mom und meinen Dad. Als ich dann wieder in die Spur kam, tat ich das auch wesentlich öfter. Ich kam tatsächlich zu Thanksgiving und Weihnachten nach Hause, bis meine Mutter von uns ging, und danach machte ich es auch für meinen Dad.
›Strung Out Johnny‹ auf dem neuen Album befasst sich mit Sucht. Was suchtest du, als du mit den Drogen angefangen hast?
Zu verschiedenen Zeiten erfüllten sie wohl verschiedene Zwecke für mich. Zunächst einmal schien es nötig zu sein, dass ich wenigstens kiffte, um überhaupt mit den Stooges abhängen zu können und sie dazu zu bringen, über irgendetwas zu reden. Später dann, etwa um 1970, wurde Kokain zu einem großen gesellschaftlichen Ding in Detroit. Alle nahmen es. Ich schnupfte ein bisschen davon und dachte erst, das ist nichts für mich, es funktioniert nicht, aber dann war ich auch schon drauf … In anderen Momenten, mit psychedelischen Drogen oder Heroin, sucht man einfach nur nach einer Flucht aus dem Trott, der uns allen als unsere Existenz diktiert wird, oder flieht vor Problemen, wenn es nicht gut läuft. Vor allem mit Heroin. Das hilft, wenn man sich mies fühlt. Und dann passiert natürlich das, was im Song vorkommt: „Phase three, you can‘t get enough.“ Man kann auch Drogen nehmen, um sich richtig in ein Werk hineinzuversetzen, an dem man gerade arbeitet. Die
Ergebnisse werden dann immer dürftiger und die Rechnung immer teurer, bis man zerstört ist – sofern man nicht irgendwann auf die Bremse tritt und da rauskommt.
Ein weiteres Highlight auf der Platte ist ›Neo Punk‹ mit Travis Barker als echtem Tier am Schlagzeug. Erzähl uns mehr über den Text – wer ist der Protagonist?
Er ist ein wunderbares Mischwesen, ein Punk-Frankenstein, den ich aus Teilen von Lil Pump, Blink-182, Justin Bieber, wenn er seine Nachbarn mit Eiern bewirft, Machine Gun Kelly und diesem und jenem zusammengebaut habe. Er ist weltgewandter, als ich es je war, verdient sofort Geld, hat Erfolg und denkt sich: „Wow, das ist ziemlich gut.“ Manchmal ist er in einer Talentshow im Fernsehen: „Ich bin ein Punksänger.“ Das ist sein Genre. Was vor einiger Zeit undenkbar gewesen wäre. Er hat auch viele ältere Fans. Denn weil die Bevölkerung altert, stehen auch Omas auf ihn. Im Wesentlichen ist er wie Jon Voights Figur in „Midnight Cowboy“: „Hey, wow, dieses Punkding ist ziemlich cool. Ich arbeite erst seit zwei Wochen darin und habe schon Kohle, Mädels, Klunker, gehe mit einer Pornodarstellerin aus … bin berühmt.“ Und das scheint der erstrebenswerte
Status zu sein.
Werden einige der Beteiligten auf EVERY LOSER auch live mit dir unterwegs sein?
Nein, außer … Wenn einer von ihnen zufällig in der Gegend ist, sind sie natürlich immer willkommen, aber ich habe eine fantastische Liveband – vier aus Frankreich, drei aus den USA –, die alle meine Sachen echt gut und mit viel Leidenschaft spielen. Es wird ein paar Gigs mit der Kerntruppe des Albums geben, aber darüber kann ich noch nicht sprechen.