Unsterbliche Hits, aber maue Performance.
Er kommt spät, aber immerhin: Er kommt. Gegen 22.30 Uhr betritt Axl Rose endlich die Bühne in der Wiener Stadthalle, und im Gegensatz zu seinen Auftritten in Großbritannien, wo Setkürzungen und Flaschenhagel auf die Starallüren des Guns N’Roses-Frontmanns folgten, sind die Österreicher nicht auf Krawall gebürstet. Sie warten vielmehr gespannt auf das, was da nun endlich kommen soll. Doch schon der Startschuss ist nicht optimal platziert: Statt mit einem Klassiker eröffnet Rose mit ›Chinese Democracy‹, was für lange Gesichter sorgt. Das liegt nicht nur am Song an sich, sondern auch am Sound, der zu Beginn dermaßen kracht und scheppert, dass es einem schwer fällt, überhaupt etwas zu erkennen. Das bessert sich auch bei ›Welcome To The Jungle‹ nicht, die Melodien gehen völlig unter, doch zumindest hilft die Textsicherheit der Wiener über dieses Klangdesaster hinweg. Gegen die dröhnenden Bässe kommen selbst eigentlich unsterbliche Hymnen wie ›Mr. Brownstone‹ oder ›You Could Be Mine‹ kaum an, und auch Axl Rose ist stimmlich weit von seiner Bestform entfernt. Man hat den Eindruck, dass die Songs rauer und kantiger arrangiert wurden, um über die Defizite des Frontmanns hinwegzutäuschen – so fällt es weniger auf, dass er über weite Teile mehr schreit als singt, selbst ›Knockin‘ On Heaven’s Door‹ verkommt zur Leier-Nummer. Dabei gibt es durchaus Momente, in denen die Genialität von Rose durchschimmert und einem wieder vor Augen geführt wird, warum dieser Mann es geschafft hat, zu einem der bedeutendsten Rocker der Welt zu werden: ›November Rain‹ etwa, eingeleitet von einem Pink Floyd-Tribut, kommt ähnlich ergreifend daher wie zu seligen Gunners-Zeiten Anfang der Neunziger. Und auch das Wings-Cover ›Live And Let Die‹, das natürlich nach wie vor fester Bestandteil des Sets ist, kann die ein oder andere Gänsehaut herbeizaubern. Die Selbstläufer im Programm, allen voran ›Sweet Child O‘ Mine‹, sorgen schließlich dafür, dass sich das Biertrinken für die Fans doch noch gelohnt hat – endlich können sie enthemmt und aus voller Kehle mitsingen. Insgesamt aber ist die Leistung von Axl Rose und seiner Mannschaft, bestehend aus Bumblefoot und Richard Fortus an den Gitarren, Tommy Stinson am Bass, Schlagzeuger Frank Ferrer, DJ Ashba und Keyboarder Chris Pitman, nur mittelmäßig. Die Leidenschaft und Energie, mit der Guns N’Roses früher die Bühne und die Fan-Herzen im Sturm erobern konnten, scheint völlig verpufft zu sein. Vieles wirkt kalkuliert und einstudiert, die Posen, die Bewegungen, die Gesten. Und natürlich fehlen auch die alten Bandmitglieder, denn ein Slash lässt sich nicht durch einen einfachen Klamottentrick ersetzen, sein Stil und seine Hingabe an die Musik sind faktisch einzigartig. So wirken Guns N’Roses am heutigen Abend nicht wie eine Rockband, die in die Jahre gekommen ist – nein, es ist viel schlimmer: Sie erwecken den Eindruck, als würden sie vor 12.000 Menschen ihre eigenen Songs (und AC/DCs ›Whole Lotta Rosie‹) covern. Daher ist es allein der Grandiosität der Songs zu verdanken, dass überhaupt Jubel aufbrandet. Das liegt aber weniger an der Performance, sondern schlichtweg daran, dass sich hier Tausende Fans in ihre Jugendzeit zurückversetzt fühlen und Wien für einen Moment tatsächlich in die ›Paradise City‹ verwandeln. Doch die Euphorie ebbt schon auf dem Weg nach draußen wieder ab – was bleibt, ist ein zwiespältiges Gefühl: Die Songs, ja, die können alles. Axl Rose jedoch schafft es trotz der spieltechnisch einwandfreien Mitmusiker nicht mehr, den alten Zauber wiederzubeleben.