DAS GOLDENE KALB
Der 14. Januar 1973 ist ein ganz besonderer Tag. Eine Milliarde Zuschauer weltweit ersehnen die Satelliten-Übertragung eines Konzertes herbei, deren Star eine lebende Legende ist, in unerreichbare Höhen aufgestiegen, gottgleich geliebt und verehrt, obwohl die Glanztage dieses Mannes längst hinter ihm liegen. Er sah die Beatles kommen und gehen, die Doors, Jimi Hendrix. Doch er ist noch da – er, mit dem alles seinen Anfang nahm.
Und er ist gekommen, um eine Messe zu feiern, hier im International Convention Center in Honolulu, das seit Tagen schon Kopf steht. Noch nie hat es ein Ereignis wie dieses gegeben: eine 2,5 Millionen Dollar teure TV-Produktion, die in den USA, Europa, Afrika, Südamerika, auf den Philippinen, in Hongkong und selbst in Südkorea ausgestrahlt wird.
Bereits zwei Tage zuvor findet eine öffentliche Generalprobe statt, auch diese restlos ausverkauft. Elvis trägt einen weißen Bühnenanzug. Ein Assistent legt dem King, der vor einigen Tagen seinen 38. Geburtstag feierte, ein Glitzer-Cape um, ein bodenlanges, 80.000 Dollar teures Unikat, das 35 Kilo wiegt. „Als Elvis zu den Proben kam, zog ihn das Cape plötzlich nach hinten“, erinnert sich der Designer Gene Doucette. „Er fiel auf den Arsch.“ Ein kürzerer, leichterer Ersatz wird zügig besorgt.
Die große Show selbst geht reibungslos vonstatten. Der King präsentiert eine Auswahl seiner größten Hits: ›Suspicious Minds‹, ›Can’t Help Falling In Love‹, ›Fever‹ und ›Hound Dog‹, aber auch ›Something‹ von den Beatles und ›My Way‹. Das Konzert zeigt die ganze Bandbreite des ehemaligen LKW-Fahrers, der sich auch in seinen Anfangstagen nie auf den Rock’n’Roll beschränkt hat, nie völlig in der Musik aufging, die ihn berühmt gemacht hatte.
Schon 1956 hatte er in einem seiner seltenen Interviews erklärt: „Wenn das hier vorbei ist, werde ich etwas anderes machen. Ich mag Balladen in der Art von Perry Como und Eddie Fisher, aber mein jetziger Gesangsstil bringt halt das Geld.“ Elvis’ tiefe Liebe zu Gospelsongs und Balladen – sie sollte ihn von einem Teen-Idol zum Weltstar werden lassen. Denn auch wenn Rockfans es nicht wahrhaben wollen: Es sind die soften Nummern, die von der Masse goutiert werden und sich tief in den kollektiven Erinnerungsarealen verankern, sei es nun ›Yesterday‹, ›Hotel California‹, ›Under The Bridge‹ oder Elvis’ ›Love Me Tender‹ – der gemeine Homo sapiens steht auf butterweiche Schnulzen.
Elvis selbst wusste sehr genau darum, und es bedurfte nicht erst der Intervention seines Managers Colonel Parker, ihn dazu zu bringen, Songs wie ›It’s Now Or Never‹ aufzunehmen. Elvis war nie der Rebell, für den man ihn zu Beginn seiner Karriere noch hielt. Er konnte wild sein, aber er war auch ein Spießer, darin deck-ungsgleich mit der großen gesellschaftlichen Mehrheit, die im King – ob nun gottgleich erhöht oder nicht – einen der ihren erkannte. Stellvertretend für sie wurde er zum mythischen Wesen. Wie aber kam es dazu? Wie wurde aus Elvis Presley der King? Und wie wurde aus dem King innerhalb von nur vier Jahren Fat Elvis?
DER PAKT MIT DEM TEUFEL, DER HOT DOGS VERKAUFTE
Wir befinden uns wieder zurück in 50er Jahren, im Jahr 1955, um genau zu sein. Die Aufnahmen für Sun Records haben ein erstes Spotlight auf den jungen Sänger geworfen. Im Amphitheater des Overton Parks in Memphis gibt Elvis Presley, begleitet von Bill Black und Scotty Moore, sein erstes Konzert. Im Publikum kommt es zu tumultartigen Szenen.
Weitere Club-Gigs in Memphis und Umgebung folgen. Parallel dazu touren Scotty Moore und Bill Black mit dem frisch dazu gekommenen Drummer D.J. Fontana und ihrem Zugpferd Elvis Presley durch die Südstaaten und treten unter anderem mit dem Countrysänger Hank Snow, Bill Haley, Pat Boone und Buddy Holly auf. Nicht nur lokalen Nachwuchsmusikern, auch etablierten Künstlern stiehlt Elvis mit seinen Blue Moon Boys immer wieder die Show. Der Frontmann hinterlässt bleibenden Eindruck.
Andere Sänger beginnen, seinen Stil zu kopieren. Noch aber ist der charismatische Rocker nur im Süden bekannt. Da wird Elvis von einem gewissen Colonel Parker für die „Canadian Singer Show“ gebucht. Am 18. August desselben Jahres wird Parker Presleys offizieller Manager und wird es bis zum Tod des Sängers bleiben. Nur drei Monate später wechselt Elvis auf Vermittlung Parkers von Sun Records zum Plattenriesen RCA. 40.000 Dollar erhält Sam Phillips dafür, damals ein unerhörter Betrag. Von nun an geht alles schnell.
Parker ist mit allen Wassern gewaschen, ein erfahrener und gerissener Geschäftemacher mit proto-kriminellen Zügen und entschlossenem Willen. Er liebt Geld, den Erfolg, und er erkennt das Potenzial, das in dem talentierten Landei aus Tupelo schlummert. Denn der als Andreas Cornelius van Kuijk in Breda, Holland, geborene Colonel Thomas Andrew Parker hat bereits eine eigene Karriere hinter sich, die geradezu irrwitzig ist und ihn gelehrt hat, zuzugreifen, wann immer sich eine Chance ergibt.
1929 wandert er als Andreas van Kuijk zwanzigjährig illegal in die USA ein und kommt zunächst bei einem Zirkus unter. Kurze Zeit später verkauft er 30 cm lange Hot Dogs, bei denen allerdings nur die Brötchen 30 cm lang sind und die Wurst sich auf die Zipfel an den Enden beschränkt.
Sein nächster Coup: Er streicht Spatzen gelb an und verkauft sie als Kanarienvögel. Schließlich tingelt er mit „Parkers tanzenden Hühnern“ umher – Hühnern, die auf einer heißen und mit Sägemehl bestreuten Platte zu Countrymusik „tanzen“. Weitere Stationen seines Wirkens: Hundefänger in Tampa, Florida, Wahlkampfhelfer für den Gouverneur von Louisiana (der ihm dafür 1948 den Ehrentitel „Colonel“ verleiht) und eine Verstrickung in einen Millionen-Dollar- Skandal um das 1951 verbotene Wundermittel „Hadacol“.
Dann plötzlich ist Parker erfolgreich als Manager tätig, zunächst für Minnie Pearl, Eddy Arnold, Hank Snow und den Westernstar Tom Mix. Nun schnappt er sich den jungen Elvis Preslesy, der sich auf Gedeih und Verderb in seine Hände begibt. Parker kassiert von allen Einnahmen zunächst fünfundzwanzig, später sogar fünfzig Prozent. Mit dem Wechsel seines Schützlings zum Plattenriesen RCA ebnet er jedoch den Weg für Elvis’ überregionale und schließlich internationale Karriere.
Starker Bericht. Danke.
Kann mich bestens an seinen Todestag erinnern, hat mich damals (wie heute) schwer berührt.