„Gut Ding’ will Weile haben“ – so lautet seit Jahren das Credo der Krefelder Riffer Blind Guardian. Ihr neues Album AT THE EDGE OF TIME bekam daher ausreichend Zeit zum Reifen.
Die Idee ist genial – und irgendwie auch folgerichtig: Blind Guardians Beitrag zum PC- und Xbox-Spiel „Sacred 2 – Fallen Angel“, dem Nachfolger des weltweit erfolgreichsten deutschen Action-Rollenspiels aller Zeiten, hat zusammengeführt, was für viele Konsumenten schon immer zusammengehörte. Nämlich Metal und Fantasy, Bilder von Schattenkriegern und deren martialischen Gefechten mit der epischen Musik von Blind Guardian und ihren wortgewaltigen Texten über verwunschene Welten. „Eine fabelhafte Kombination“, findet auch Sänger Hansi Kürsch, „,Sacred‘ gefällt Computerfans ebenso wie den Anhängern von Blind Guardian. Für uns ist bei dieser Gelegenheit zusätzlich auch noch ein tolles Video und ein Quest herausgesprungen – was will man mehr?“
Eine ähnliche Frage stellt sich den Krefelder Bombast-Metallern allerdings auch ganz generell, unabhängig von ihrer spektakulären Zusammenarbeit mit einem der wichtigsten deutschen Spiele-Softwarehersteller, nämlich die: In welche Richtung wollen wir uns zukünftig entwickeln? Nach acht erfolgreichen Studioalben, diversen Tourneen rund um den Globus und geradezu kultischer Fan-Verehrung lässt sich im 26. Jahr des Bestehens darauf nur mit gezielter Planung eine Antwort finden. Zumal im traditionellen Metal die Variationsmöglichkeiten nur gering sind, will man sein angestammtes Pu-blikum nicht leichtfertig verschrecken. Seit 1988, seit der Veröffentlichung ihres Debütalbums BATTALIONS OF FEAR, hat die Band die Grenzen ihres Genres ausgelotet. Nie über das erträgliche Maß hinaus, aber immer mit dem Blick auf neue Herausforderungen und die Vermeidung von kreativem Stillstand. „Zu Beginn waren wir eine Melodic-Speed Metal-Band, die einige Thrash-Einflüsse zuließ, dann kam der Einfluss von Queen hinzu, anschließend folgten unüberhörbare Folk-Verweise, dann wurden wir episch und komplex, um mit unserem letzten Album A TWIST IN THE MYTH bewusst zurückzurudern und die Arrangements schlanker anzulegen“, analysiert Kürsch die bisherigen Veröffentlichungen. „Nach solch einer Laufbahn fragt man sich natürlich schon, was man als nächstes entdecken könnte.“
Eine besondere Herausforderung für Blind Guardian, die als Vollprofis die Augen vor einem sich dramatisch verändernden Musikmarkt nicht verschließen können. CD-Verkäufe sind generell rückläufig, die Fans im Zeitalter von Downloads und kostenlosen Internetmöglichkeiten anspruchsvoller denn je. Das Projekt AT THE EDGE OF TIME – so der Titel des neunten Studioalbums – forderte zu Beginn der Arbeiten im Frühjahr 2009 also vollste Aufmerksamkeit aller Beteiligten. „Die Käufer honorieren es, wenn man sich wirklich Mühe gibt – speziell im Metal-Sektor“, weiß Kürsch. „In unserem Bereich gibt es ja zum Glück noch eine Fanbindung, die im Pop-Sektor fast völlig verschwunden ist. Das neue Album wird in unterschiedlichen Editionen veröffentlicht, dazu kommen diverse Internet-Contents und viele Extra-Featu-res. Ein möglichst direkter Kontakt zu unseren Anhängern war Blind Guardian schon immer ein besonders großes Anliegen.“
Soweit zur Marketingstrategie – kann AT THE EDGE OF TIME aber auch musikalisch überzeugen? Die Frage ist schnell beantwortet: Ja, und zwar ohne Einschränkung! Blind Guardian sind clever genug, ihre typischen Merkmale immer nur sukzessive zu verändern. Am Hymnencharakter ihrer Songs, einem der herausragenden Markenzeichen von Blind Guardian, wird nicht gerüttelt. Frontmann Kürsch, der in früheren Jahren Sänger und Bassist in Personalunion war, hat sich des Ballastes eines Instruments entledigt und konzentriert sich auf Satzgesang, auf die eingängigen Sing-a-long-Refrains und auf bombastische Chor-Arrangements mit unverhohlenem Klassik-Flair.
Das funktionierte auf den drei letzten Studiowerken NIGHTFALL IN MIDDLE-EARTH (1998), A NIGHT AT THE OPERA (2002) und A TWIST IN THE MYTH (2006) prächtig, davon lebt auch das neue Opus. Hinzu kommen Querverweise auf die eigene Vergangenheit (ein Stück wie ›Tanelorn – Into The Void‹ hätte sicher auch in die Frühphase der Band gepasst) und die allzu gerne verwendeten mittelalterlichen Zusätze, hier vor allem im Track ›Curse My Name‹ zu entdecken. Kürsch: „Speziell zu diesen mittelalterlichen Einflüssen passt natürlich perfekt unsere Entscheidung, wieder stärker als auf A NIGHT AT THE OPERA oder A TWIST IN THE MYTH auch akustische Gitarren einzusetzen.“
Ein weiterer spannender Aspekt der neuen Scheibe ist die Zusammenarbeit mit dem Prager Sinfonieorchester – übrigens schon jetzt fest gebucht für das geplante Guardian-Orchesterprojekt in 2011 – mit einigen Facetten, die sogar die Blind Guardian-Musiker überrascht haben. „Natürlich wurde alles nach unseren Vorgaben notiert und umgesetzt, aber wir waren in diesem Fall auf Matthias Ulmer angewiesen, einem wirklich begnadeten Keyboarder und Pianisten, der die Scores fürs Orchester erstellt hat.“ Gleich zweimal waren Blind Guardian persönlich in Prag dabei, als sowohl der Computerspiel-Soundtrack „Sacred“ als auch die Albumnummer ›Wheel Of Time‹ veredelt wurden. „Natürlich wussten wir in etwa, was das Orchester spielen würde, aber jedes Detail, jede Streichpassage, jede Horn-Sektion kannten auch wir nicht. So etwas muss man ja vertrauensvoll dem Dirigenten überlassen.“
Seit dem 30. Juli steht AT THE EDGE OF TIME in den Plattenläden, ab Ende September befindet sich die Band auf großer Europatournee. Die Fans erwartet erneut eine in jeder Hinsicht stimmungsvolle Metal-Show, bei der Blind Guardian ein mit drei oder vier brandneuen Tracks angereichertes Best Of-Programm spielen wollen.
„Ganz klar: Ohne unsere Klassiker ›Valhalla‹, ›The Bard’s Song‹ oder ›Mirror Mirror‹ kommt kein Blind Guardian-Konzert aus. Gleichzeitig wollen wir aber natürlich auch die neue Scheibe vorstellen, die sich zum Glück kompositorisch ohne größeren Aufwand spielen lässt“, gibt Hansi Kürsch schon einmal einen Ausblick auf das, was die Fans erfreuen dürfte. Klar scheint schon jetzt: Die beiden besten Tracks des neuen Albums, also ›Sacred Worlds‹ und ›Wheel Of Time‹, werden auf jeden Fall dabei sein.