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Alice In Chains

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Alice In Chains

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Die wiederauferstandenen Alice In Chains finden sich in einer Musikindustrie wieder, die wenig mit der zu tun hat, die sie einst hinter sich gelassen hatten – und sie sind nicht sonderlich glücklich darüber.

ROC184.aic.alice_travisDer Tod verfolgt Alice In Chains nicht mehr. Das ist offensichtlich an diesem brütend heißen Februartag in Los Angeles. Am offensichtlichsten ist es wohl, als ich ihnen zusehe, wie sie am Sunset Boulevard ein Eis schlecken. Es ist schon umwerfend, zu bezeugen, wie die regierenden Fürsten der Düsternis des Grunge zusammen lachen und sich über Abstinenz und Benefiz-Golfturniere unterhalten. Jerry Cantrell hat kurze Haare und trägt einen Blazer, verdammt noch mal. Für eine Band, die ein gutes Jahrzehnt in einem Sumpf aus Drogen, Verzweiflung und Verderben, sowie ein weiteres in einem praktisch vollständigen medialen schwarzen Loch verbracht hat, haben sie sich erstaunlich gut erholt.

Alice In Chains erstanden 2005 wieder auf, als die verbliebenen Mitglieder in Seattle einen einmaligen Auftritt bei einem Tsunami-Benefizkonzert absolvierten. Bald wurde daraus jedoch eine richtige Reunion, als der einstige Comes-With-The-Fall-Frontmann Will DuVall der Band offiziell beitrat. Sie tourten einige Jahre, bevor sie ein grandioses und Grammy-nominiertes Album, BLACK GIVES WAY TO BLUE (2009), veröffentlichten. Ein beträchtliches Risiko für eine Band, die so eng mit ihrem einstigen Sänger, dem nach jahrelangen Drogenproblemen verstorbenen Layne Staley, in Verbindung gebracht wurde, doch es zahlte sich aus. Wie AC/DC oder Black Sabbath vor ihnen, haben Alice In Chains es geschafft, sich als eine lebendige, neue Kraft zu etablieren.

Und wenn wir die Parallele kurz weiterverfolgen, ist das neue Alice-Album ihr MOB RULES und William DuVall ihr Ronnie James Dio. Natürlich gibt es da Unterschiede – DuVall ist viel größer und erwähnt Drachen oder Magie nicht ein einziges Mal. Aber er ist mindestens genauso charismatisch und regiert die Bühne keine Spur weniger souverän.

DuVall wuchs in Atlanta mit Black Flag und den Stooges auf, zog vor zehn Jahren nach L.A. und gründete die Stadionrocker in spe Comes With The Fall, bevor er gefragt wurde, ob er einer seiner Lieblingsbands beitreten wolle. Wie man sich vorstellen kann, eine ziemlich überwältigende Erfahrung.

„Es fühlte sich definitiv so an, als müssten wir etwas beweisen“, sagt er. „Da gab es am Anfang viele Zweifel. Viele wollten uns nicht buchen, trotz allem, was die Band vorher erreicht hatte. Man kommt dann also in eine Stadt und kann sehen, wie die Leute sich denken: ‚Wer ist dieser Typ?‘. Das hat mich motiviert.“

„Am Anfang haben wir Schecks ausgestellt, Mann“, sagt Sean Kinney, Alices Schlagzeuger seit ihrer Gründung. „Wir haben gezahlt, um aufzutreten, wie das Bands hier nun mal tun, denn wir wollten etwas unter Beweis stellen. Wir dachten, ihr wollt uns erzählen, dass wir seit 20 Jahren im Radio laufen und niemand wird auftauchen? Fuck you. Also machten wir die Arbeit, und wir straften die Zweifler Lügen. Wieder einmal.“

Kinney erklärt, warum die Band nach einem Jahrzehnt Funkstille beschloss, zurückzukehren: „Es war eine Abfolge von Ereignissen, die von einem guten Zweck ausging. Zwei von uns machen das schon mehr als die Hälfte unseres Lebens. Wir hatten kein Problem damit, vom Zenit unserer Karriere abzutreten – wir hatten zwei Nr. 1-Alben gehabt. Und natürlich ermutigte das niemanden in unserem Umfeld. Man bot uns jede Menge Kohle an. Aber wie viel Geld braucht man denn wirklich? Wir haben das hier aus den richtigen Gründen getan. Wir sahen es nicht kommen, und wir sind es sehr vorsichtig angegangen. Wir machten kleine Schritte und dann diskutierten wir darüber, um sicherzustellen, dass es sich richtig anfühlte. Will ist bei uns, weil er genau wie wir ist. Niemand verlangte von ihm, zu sein wie irgendjemand anderes, wir wollten, dass er nur er selbst ist. Wir können nicht mehr das sein, was wir mal waren. Ich bin ja auch nicht mehr derselbe Mensch, der ich mal war. Man wird älter und entwickelt sich ein bisschen.“

DuVall glaubt, dass der anfängliche Kampf um Akzeptanz der Band half, zu wachsen: „Es schweißte uns wirklich zusammen, wenn wir auf die Bühne gingen, und ich dachte nur, okay, dem muss ich mich jetzt stellen“, lacht er.
„Ich weiß nicht, ob ich dafür bereit war“, so Kinney. „Wir haben langsam angefangen, spielten kleine Gigs, und dann spielten wir plötzlich wieder vor 40.000 Leuten. Ich dachte, ich weiß nicht, ob ich bereit bin, das wieder zu tun.“

„Was glaubst, wie ich mich gefühlt habe?“, lacht DuVall. „Das war unsere fünfte Show zusammen.“
„Das dachte ich mir dann auch“, sagt Kinney. „Ich sah ihn an und dachte, nun, er hat es noch schwerer als ich, also lasst uns das einfach durchziehen. Also tut man es, und dann ist es vorbei und du denkst, hey, das war ja gar nicht so fucking schwer, oder?“

Das Ding an Alice In Chains ist: Sie sind echt nette Kerle. Ihr wohltätiges Engagement ist ihnen sehr wichtig, ebenso wie Familie und Freundschaft. Sie lachen viel, und sie sagen permanent „fuck“. Und noch was über AIC: Es gibt viel, das sie nicht mögen. Wie das Internet. Und Ruhm. Und Downloading. Und eigentlich die ganze fucking Musikindustrie.

„Vieles daran gefällt mir überhaupt nicht, nein“, so Bandboss Jerry Cantrell. „Ich weiß nicht, ob mir früher unbedingt mehr daran gefallen hat, aber es ist definitiv anders. Was für mich am enttäuschendsten ist: Was du tust, ist jetzt weniger als nichts wert. Es wurde alles auf eine Game-Show reduziert. Und irgendwie gilt nun all das, woran du gearbeitet, worin du deine Seele gesteckt und dein Geld investiert hast, nicht mehr als wertvoll. Ich finde das fucked up. Ich kann ja auch nicht zur Tankstelle fahren und mir das Benzin umsonst holen – ich würde ins Gefängnis gehen. Aber aus irgendeinem Grund ist es in Ordnung, mein Ding umsonst zu bekommen.“

„Das ist wirklich Scheiße, denn irgendwo da draußen ist vielleicht ein Zwölfjähriger, der der nächste Kurt Cobain sein könnte, aber er wird nie die Chance bekommen, gehört zu werden, denn es gibt keine Zukunft und kein Geld mehr fürs Musikmachen“, fügt Bassist Mike Inez hinzu. „Ich mache mir Sorgen um die nächste Generation. Wo wird die Kunst herkommen?“ „Und jetzt ist es auch in Ordnung, dass Musik diese kleine Datei ist, die nicht mal gut klingt“, fährt Cantrell fort. „Und es ist in Ordnung, dass Leute auf die Bühne gehen und ihre Stücke nur noch fucking faken. Sie wollen nicht mehr die echte Musik, sie wollen keine falschen Noten, sie wollen niemand, der da hoch gehen und seine eigenen Lieder singen kann, sie wollen einfach nur jemand, der die fucking tollen Tanz-Moves machen kann. Es ist nicht so, dass es dieses Element früher nicht auch schon gegeben hätte, aber jetzt scheint es nichts anderes mehr zu geben. Ich will damit nicht sagen, dass es da draußen keine großartigen Bands mehr gibt, die wirklich tolle Musik machen, aber das Verhältnis zu diesem anderen Zeug ist außer Kontrolle.“

„Dazu muss man sagen, dass wir für die nächste Tour ein paar fantastische fucking Tanz-Moves geplant haben“, lacht Inez.

„Rockbands hatten mal was Geheimnisvolles an sich“, so Kinney. „Aber jetzt heißt es nur noch, ‚folgt mir auf Twitter!‘ Ich will nicht wissen, welches fucking Sandwich du am Flughafen gegessen hast, Mann. Wir sind doch auch nur Menschen. Unser Job ist auch nicht so viel interessanter als der anderer Leute.“

Black Diamond Skye Tour at the Scottrade Centre, St Louis, Missouri, America - 01 Oct 2010Da gibt es noch was, das Alice In Chains nicht mögen: Interviews. Bevor ich diesen Nachmittag mit der Band verbrachte, bekam ich eine ellenlange Liste von Themen, die ich nicht ansprechen sollte: Layne, Drogen, die alten Alben, die alte Szene, die alte Band. Natürlich war es unvermeidlich, dass wir trotzdem über all diese Themen sprachen, wenngleich nicht unbedingt für diesen Artikel. Fakt ist nun mal, dass dies eine neue Band ist. Die Geister der gefallenen Alice-Mitglieder sind schlicht und einfach nicht hier. Vermutlich ruhen sie irgendwo im Schatten der Vergangenheit, wo sie hingehören. Und so gewichtig das Erbe der Grunge-Jahre auch bis in alle Ewigkeit auf Alice lasten wird, egal, welches Jahr gerade ist, liegen ganz klar noch viele Highlights, Tiefpunkte, Siege und Niederlagen vor ihnen. Und, unvermeidlicherweise, viele unangenehme Ge-spräche mit der Presse.

„Das Beste an dem Job ist, dass Leute kommen, um dich spielen zu sehen“, so Cantrell. „Ich meine, es ist okay, hier zu sitzen und mit dir zu reden, mein Bruder, aber es ist nicht mein Lieblingsteil dieser Geschichte. Presse, Meetings, entscheiden, welches Busunternehmen man bucht, sich mit dem ganzen Business-Mist zu befassen, das gehört zum Job, aber das ist alles nur ein Mittel, um auf die Bühne zu kommen. Das ist der Grund, warum man sich den ganzen anderen Scheiß antut.“

Rock-Journalisten sind meistens keine allzu tollen Autoren“, fügt Inez hinzu. „Manchmal stellen sie dir nicht mal mehr eine richtige Frage. Sie sagen einfach nur: ‚Also, Layne ist tot‘. Äh, ja, ich weiß.“

„Der Austausch von Information ist gut“, sagt Cantrell, „aber es kann ein sehr schwieriger Prozess sein, sich mit jemand, den man nicht kennt, über sehr schmerzhaften Scheiß zu unterhalten. Das tut weh. An einem Tag mit acht Leuten zu reden, die mich alle fragen, wie es sich angefühlt hat, als Layne starb. Wie glaubst du, dass es sich fucking angefühlt hat? Glaubst du, ich will das achtmal am Tag mit irgendeinem Arschloch noch mal durchleben, das ich gar nicht kenne? Wie hat es sich angefühlt, als dein Vater starb? Oder deine Großmutter?“
Inez und Cantrell erzählen noch eine ganze Reihe haarsträubender Horrorstories über die Presse, und plötzlich versteht man besser, wieso es diese Liste mit Tabuthemen gibt. Wie sich herausstellt, sind viele Rock-Journalisten – oder zumindest Entertainment-Reporter – wirklich Arschlöcher.

„Wir gingen letztes Jahr zu den Grammys, weil wir für ein paar davon nominiert waren“, erinnert sich Cantrell. „Wir stehen also in dieser fucking Presseschlange und sie schieben uns die Reihe entlang, fünf Minuten mit diesen Leuten, und sie haben keine Ahnung, wer wir sind, dann irgendeine Morgenshow, die scheren sich einen Dreck um uns, und dann will uns MTV interviewen… Also drehen wir uns um und es ist fucking Snooki (Star der Reality-Show „Jersey Shore“; Anm.d.Übers.). Snooki wird uns fucking interviewen. Und sie sagt nur: ‚Ich weiß nicht, wer diese Leute sind. Wer sind sie?‘ Und das soll Musikfernsehen sein?“
„Wir sind einfach gegangen“, lacht Inez.

Eine Sache, die Alice In Chains sehr wohl mögen, ist ihr neues Album, das zweite mit DuVall. Es ist etwas bluesig und leicht psychedelisch, näher an SAP als an DIRT. Manche werden es lieben, manche werden es hassen, manche werden mit den Schultern zucken und sich wünschen, es wäre immer noch 1993. Aber fast niemand wird seinen provokanten Titel ignorieren können: THE DEVIL PUT DINOSAURS HERE. Gleichsam der Titel des härtesten Stücks des Albums, macht er eine klare Aussage. Jenseits der wirbelnden Gitarren und nebligen Post-Grunge-Harmonien ist dieses Album ein Statement.

„Uns ist klar, dass die Leute darüber reden werden“, sagt Cantrell. „Und verschiedene Leute werden verschiedene Meinungen dazu haben. Was das Stück im Wesentlichen aussagt, ist, dass dein Glaubenssystem Fakten beinhalten kann, die wir irgendwann mal lernen. Es kann wachsen. Die fucking katholische Kirche hat ein Observatorium und Wissenschaftler innerhalb der Kirche. Man lernt, dass die Erde nicht flach ist und dass sich nicht alles um uns dreht. Ich versuche nicht, zu kritisieren, was du glaubst – du sollst glauben, was auch immer du fucking willst. Aber wenn du aufgrund deines Glaubens jemand tötest, weil er etwas anderes glaubt, oder jemand verprügelst, der anders als du aussieht, oder vom anderen Geschlecht ist, oder eine andere sexuelle Orientierung hat, oder wenn du Gesetze erlässt gegen die Körper anderer Leute und was sie damit tun können, dann bist du ein Arschloch und wir haben ein Problem. Darum geht es in dem Stück. Wir hatten ein paar Diskussion darüber und so haben wir uns entschieden. Wenn du mich fragst, ist es ein fucking fantastischer Titel.“

Natürlich steckt dahinter mehr als nur ein weiteres Rock‘n‘Roll-Album. Alice In Chains waren einst von Dunkelheit umgeben. Es wird wohl nie wieder eine Mainstream-Band geben, die so eng mit Schmerz und Verzweiflung assoziiert wird. Sie waren der pochende, rohe Nerv der Grunge-Revolution, dazu bestimmt, sich selbst zu zerstören und auszubrennen, nicht zu verwelken. Aber irgendwie sind sie geheilt, gewachsen und aufgeblüht. Ich weiß nicht, ob das irgendwas mit Dinosauriern zu tun hat, aber da steckt bestimmt irgendwo eine Lektion drin.
„Weißt du, uns kam niemals auch nur der Gedanke, dass wir eine ‚Classic Rock‘-Band sind“, sagt Kinney, als er über die lange, wendungsreiche Geschichte der Band sinniert. „Wir hatten immer sehr einfache Ziele. Unser erstes Ziel war es, in einer Bar in Seattle zu spielen. So haben wir das immer gemacht. Natürlich wurden die Ziele mit der Zeit größer. Aber als ‚Classic Rock‘ angesehen zu werden? Das haben wir uns nie vorgestellt. Es ist gleichzeitig schmeichelhaft und verstörend. Bin ich wirklich so alt geworden? Ist das wirklich passiert? Aber es war völlig außerhalb der Kontrolle der Band. Es hat nichts mit der Band oder Plattenfirmen zu tun. All das hat vor Jahren aufgehört. Es geht um Leute, die deine Musik genug mögen, um sie am Leben zu erhalten. Das ist es doch, worum es hier wirklich geht.“

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