„Robert Plant? Ganz schöner Poser.“
AC/DC waren die geborene Live-Band – doch die Promotion zu ihrem Live-Album war eine andere Sache. In einem Interview von 1992 blickte MalcolmYoung zurück auf den Katalog seiner Truppe, vom elektrischen HIGH VOLTAGE bis zum Comeback-Werk THE RAZORS EDGE und darüber hinaus und sprach dabei auch über Bon Scotts Tod, Eier und blonde Poser.
Im Herbst 1992 interviewte ich Malcolm Young für eine heute längst eingestellte Zeitschrift namens „Metal CD“. AC/DC waren immer ein beeindruckender Live-Act gewesen, doch in Sachen Studiowerke waren die 80er für sie größtenteils ein Durchhänger. Man denke nur an FLY ON THE WALL. Dann kam 1990 das Platin-„Comeback“ THE RAZORS EDGE. Endlich waren sie wieder auf dem aufsteigenden Ast, doch sie blieben notorisch pressescheu wie eh und je.
Es brauchte mehrere Wochen und zahlreiche Anrufe, bis das Interview bestätigt war. Dann wurde ich mit 24 Stunden Vorwarnung in das Büro ihres Managements in die Londoner King’s Road zitiert. Dort wurde ich in einen Raum gebracht, wo ihr ziemlich elegant gekleideter Manager Stewart Young (nicht verwandt oder verschwägert) mich misstrauisch beäugte, Malcolms Nummer in Sydney wählte und mir dann beinahe widerwillig den Hörer reichte.
AC/DC machten gerade Promotion für ihr neues Live-Album mit dem einfallsreichen Titel LIVE. Malcolm hatte sich bereit erklärt, über jede ihrer Platten zu reden und seine Gedanken über die Band mit mir zu teilen. Mal sehen… Das erste Geräusch, das ich am anderen Ende der Leitung hörte, war ein tiefes, katarrhiges Husten. Ich wusste, dass die Sache nicht gut lief, als er meine Fragen zu den ersten beiden Alben exakt gleich beantwortete: mit einer sehr langen Pause, gefolgt von „Die war gut … paar gute Songs drauf“. Als wir bei LET THERE BE ROCK ankamen, fühlte ich mich schon wie ein Zahnarzt, der mit dem Knie auf dem Brustkorb des Patienten versuchte, einen besonders hartnäckigen Weisheitszahn zu ziehen. Malcolm bemerkte irgendwann, wie unangenehm das alles für mich war. „Hör zu, Mann“, seufzte er zwischen Zügen an einer Zigarette, „kann ich ehrlich sein? Das ist alles so lang her, dass ich mich nicht immer erinnern kann, welche Songs auf welcher Platte waren. Sag sie mir und darauf können wir aufbauen.“
Großartig. So könnte das funktionieren. Okay, dann also LET THERE BE ROCK. Da hätten wir ›Go Down‹, ›Dog Eat Dog‹, das Titelstück …? Noch eine schmerzhaft lange Pause, gefolgt von: „Die war gut … paar gute Songs drauf“. In einem verzweifelten Versuch, ihn ein bisschen aufzuwärmen, versuchte ich etwas anderes und fragte ihn, welche Bands er gehört habe, als er aufwuchs. „Die Stones und The Who“, antwortete und wurde ein bisschen wärmer – von eiskalt zu lauwarm. Und heutzutage? Wieder eine lange Pause: „Die Stones und The Who … und das war’s im Wesentlichen“.
Erneut merkte er, wie ich mich quälte. „Ich und Angus gingen mal auf ein Konzert von Led Zeppelin.“ Grandios. Lass ihn darüber reden, dachte ich. Aber bevor ich nach Einzelheiten fragen konnte, ließ er die Bombe hochgehen: „Wir sind nach ein paar Songs gegangen“. Ich wollte gerade fragen, warum, aber Malcolm war schneller: „Der Sänger war so ein blonder Typ“, sagte er abfällig. „Ganz schöner Poser“.
Mittlerweile spürte ich die sprichwörtliche Schweißperle auf meiner Stirn brennen. Doch wir machten weiter. Langsam. Manchmal fühlte es sich an, als würde man Blut aus einem Stein von der Größe des Ayers Rock pressen, aber nach und nach kam Malcolm von lauwarm auf etwas, das sich der Zimmertemperatur annäherte. Er war unglaublich stolz auf das Vermächtnis von AC/DC, manchmal selbstkritisch und manchmal fast offenherzig. Er gab zu, sich 1988 eine Auszeit genommen zu haben, als seine Trinkerei zum Problem wurde. In einem traurigen Omen der Ereignisse, die seiner Demenz-Diagnose 2014 folgen sollten, lobte er seinen Neffen Stevie Young dafür, wie er damals eingesprungen sei.
Als sich unsere Zeit dem Ende zuneigte, klang Malcolm fast, als hätte er Spaß an der Sache. Fast. 1991 waren AC/DC beim Monsters Of Rock Festival in Castle Donington zum dritten Mal als Headliner aufgetreten. Über die Jahre hatten sie Van Halen, Ozzy Osbourne, Whitesnake und Metallica als Vorgruppe gehabt. Ich spulte ihre Namen in einem letzten Versuch ab, festzustellen, ob er irgendwas über ihre Rivalen zu sagen hatte.
Noch eine schmerzhaft lange Pause. Das Schweigen zwischen London und Sydney war ohrenbetäubend. Endlich sprach er wieder: „Ich hab ein paar dieser Bands auf MTV gesehen“. Welche denn? Noch eine lange Pause. „Na ja, meine Tochter hört diese eine Band …“ Ja, welche denn? Noch eine Pause. „Nirvana“ – was er „Nieeeehrvana“ aussprach. Bingo! 1992 waren sie die größte Band im bekannten Universum. Ich fragte mich: Was dachte Malcolm wohl über Kurt Cobain und seine psychisch gestresste Version von Heavy Rock? Noch eine lange Pause. „Neeeeee“, entgegnete er schließlich. „Der Sänger ist so ein blonder Typ. Ganz schöner Poser.“
HIGH VOLTAGE
„Die Version, die bei euch erschien, war ein Mix aus Songs unserer ersten beiden Alben in Australien, HIGH VOLTAGE und T.N.T. ›T.N.T.‹ ist ein Song, der immer noch begeistert aufgenommen wird, wenn wir ihn spielen. Er klingt, als hätte er heute erscheinen können. Wusstest du, dass es Bands da draußen gibt, die immer noch versuchen, ein zweites ›T.N.T.‹ zu schreiben? ›Live Wire‹ und ›It’s A Long Way To The Top‹ entstanden im Studio im Handumdrehen. Wenn wir damals live spielten, jammten wir auf der Bühne viel, weil wir noch so wenig Material hatten. Dann brachten wir ›Jumpin’ Jack Flash‹ und bauten 15 Minuten Bullshit ein, um ein 40-minütiges Set vollzukriegen. Die Riffs zu ›Live Wire‹ und ›It’s A Long Way To The Top‹ entstanden bei diesen Jams. Damals gingen wir nie mit mehr als einem Riff ins Studio. Wir dachten sogar, ein Riff sei ein Song. Wir wussten es wirklich nicht besser.“