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AC/DC 1976Die Unkaputtbaren

38 Jahre, 15 Alben und über 200 Millionen verkaufter Tonträger. AC/DC sind die dienstälteste und erfolgreichste Heavy-Truppe der Welt. Und das werden sie noch eine ganze Weile bleiben. Denn an Rücktritt, Rente und Rollstuhl denken Angus Young und Brian Johnson noch lange nicht, wie CLASSIC ROCK in London erfuhr.

Das „Connaught“-Hotel passt zu AC/DC wie das berühmte Last Minute-Tor zum FC Bayern: Ein gediegener Luxusschuppen im Stadtteil Mayfair, in dem schon Winston Churchill seine Zigarren paffte – und in dem Angus und Brian heute eine Schachtel Filterlose nach der anderen killen. Natürlich bei Earl Grey Tee und kunstvoll geschichteten Sandwiches in der mondänen Grosvenor Suite. „Hi, me son, how the fuck ya doin‘?“, lautet die herzliche Begrüßung des Sängers, der erst mal Tee für den Gast aus Deutschland ordert, und auf ein kleines, bleiches Männchen verweist, das sich mit krächzender Stimme als „Hi, I’m Angus“ vorstellt – ca. 1,55 Meter lebende Rockgeschichte in Turnschuhen, Jeans und T-Shirt, der Scheitel schon reichlich licht und mit einem Akzent, der eine Mischung aus Schottisch, aus-tralischem Englisch und Kisuaheli sein muss – sprich: Man muss sich verdammt anstrengen, um den 56-Jährigen zu verstehen.

Dabei sind die beiden Riff-Oldtimer bester Laune: Seit einem halben Jahr, sprich seit Abschluss der BLACK ICE-Tour im Oktober 2010, haben sie offiziell Urlaub, den sie ungeniert für ihre Hobbys nutzen. Angus gestaltet großflächige Gemälde in seinem Atelier in Aalten, an der deutsch-holländischen Grenze. Öffentlich zu sehen sind die Werke allerdings nicht – er hält sie bewusst unter Verschluss. „Ich will die Leute damit nicht verletzen“, winkt er ab. „Das ist wirklich nur eine persönliche Sache – etwas, das ich zur Entspannung tue.“ Ganz anders sein quirliges Gegenüber mit der Reibeisenstimme und dem kehligen Lachen: Das strotzt geradezu vor Tatendrang und vor allem vor Mitteilsamkeit. Schließlich fährt der leidenschaftliche Automobilsammler in diesem Jahr wieder Rennen in Le Mans, Silverstone, Spa, Daytona und – wenn er es zeitlich schafft – sogar bei den australischen V8 Super Series, wofür er sich eigens ein weiteres historisches Rennmobil zugelegt hat. Einen raren Lola T70i von 1965, der 250.000 Dollar kostete und zudem komplett restauriert werden musste. Doch wirklich wettkampftauglich – das musste Johnson beim ersten Testlauf feststellen – ist sein Traummobil immer noch nicht. „Ich habe es vor ein paar Wochen in den USA ausprobiert und bin mit 240 km/h in die erste Kurve gegangen. Plötzlich kam mir das Lenkrad entgegen. Und zwar mitsamt der Verankerung. Ich habe geschrieen wie ein kleines Mädchen, bin aber einen halben Meter vor der Mauer zum Stillstand gekommen. Das war wahnsinniges Glück! Im Nachhinein stellte sich heraus, dass irgendein Trottel vergessen hatte, die Schraube anzuziehen. Sehr professionell, oder?“

Ganz im Gegensatz zu ihm, der Trainingsstunden bei Ex-Weltmeister David Coulthart nimmt, einen eigenen Rennstall besitzt und am liebsten unter dem Künstlernamen Giancarlo Ferrari antritt: „Das ist mein offizieller Name für Autorennen – weil er die Weiber wahnsinnig beeindruckt. Und schließlich fährt keiner schneller als ich. Außerdem klingt Brian Johnson nur halb so gut, oder?“ Was bei ihm für einen Lachflash, bei Angus hingegen für Stirnrunzeln sorgt: „Giancarlo What?“ Also muss Brian erst mal erklären, wieso, weshalb, warum, was beim Gitarristen für ein trockenes: „Du verdammter Autonarr!“ sorgt, ehe Brian den finalen verbalen Torpedo abschießt: „Im Grunde sind meine Karren genauso wie Frauen: Sie haben Lampen, viel Gepäck und sind teuer.“

Womit das Thema auch beendet werden muss, andernfalls findet der 63-Jährige mit der Schiebermütze nämlich kein Ende. Überhaupt scheint es bei AC/DC Standard zu sein, dass sich alles in die Länge zieht. Jüngstes Beispiel dafür: die BLACK ICE-Tour, die über zwei Jahre gedauert hat – obwohl das eigentlich gar nicht so geplant war. Doch der Erfolg gibt dem australisch-britischen Quintett recht: Die Tournee ist als erfolgreichste Konzertreise der Rockgeschichte in die Annalen eingegangen: Während der 20 Monate haben AC/DC vor über fünf Millionen Menschen gespielt und dabei einen Gewinn von 441,6 Millionen US-Dollar eingerifft. Eine Summe, die Angus regelrecht verlegen macht. „Natürlich ist es schön, ein angeneh-mes Leben zu führen. Aber hey, wir machen das nicht wegen der Kohle, und wir sind auch nicht geil auf den Applaus! Wir erledigen einfach unseren Job. Und der besteht darin, überall zu spielen, wo man uns sehen will und dabei stets die bestmögliche Show abzuliefern.“

Die allerdings, und das hat erstmals für gesteigerten Fan-Unmut und eine entsprechende Petition an die Band gesorgt, allabendlich aus denselben Songs, denselben Gimmicks sowie denselben Sprüchen bestand. Doch während sich Brian zu einem wenig diplomatischen „Die können mich mal!“ hinreißen lässt, bemüht sich Angus um eine versöhnliche Erklärung: „Ich verstehe nicht, was diese Leute von uns erwarten. Es ist schon rein technisch nicht möglich, jeden Abend alles umzustellen, weil bei unseren Shows alles komplett durchgeplant ist. Zudem wir allen Fans dasselbe bieten – und nicht plötzlich irgendwo nur B-Seiten oder ein bestimmtes Album am Stück spielen. Dann fühlen sich diejenigen, die zu diesem speziellen Gig kommen, zu Recht verschaukelt – weil sie nicht das bekommen, was sie sich gewünscht haben. Viele derjenigen, die mehrere Shows einer Tournee besuchen, erwarten einfach zu viel. Ich finde es zwar toll, wenn jemand ein fanatischer Anhänger der Band ist und uns öfter live sehen will. Aber er sollte dennoch besser warten, bis wir irgendwann mal zehn Abende hintereinander im selben Venue auftreten und dann wirklich variieren können.“

Ob das je geschieht und wie das aussehen könnte, lässt Angus offen. Aber er ist sich der Tatsache bewusst, dass die Präsentation kompletter Backkatalog-Werke durchaus dem Zeitgeist entspricht und auch im Falle von AC/DC Sinn und Spaß machen würde. „Ich hätte nichts dagegen“, gibt Brian zu Protokoll. „Wir müssten allerdings ziemlich lange dafür proben, weil wir viele Songs gar nicht mehr drauf haben. Und ich bin mir nicht sicher, ob ich einige Sachen von BACK IN BLACK oder FOR THOSE ABOUT TO ROCK überhaupt noch hinbekomme – weil die nicht so leicht zu singen sind.“ Womit er der Hoffnung auf eine entsprechende Umsetzung zum 30. Geburtstag des Albums im Herbst erst einmal einen Dämpfer verpasst.

Denn momentan, daran lassen die gestandenen Herren keinen Zweifel, geht es ihnen erst einmal um LIVE AT RIVER PLATE, ein knapp zwei-einhalbstündiges Souvenir der jüngsten Südamerika-Tour, das ihre Auftritte in der argentinischen Hauptstadt dokumentiert – drei Nächte vor jeweils 66.000 Hardcore-Fans, die das ehrwürdige „Estadio Monumental Antonio Vespucio Liberti“ in einen Moshpit verwandelt haben und Brian daher von „einer unfassbaren Atmosphäre“ und „den besten Fans der Welt“ sinnieren lässt – bis Angus trocken einwirft: „Ich habe davon nicht viel mitbekomme, sondern mich auf meine Gitarre konzentriert und meine Schuhe angestarrt – wie ich das immer tue.“

Was er so meint, wie er es sagt. Genau wie die folgenden Ausführungen: „Ich habe mir Buenos Aires ganz genau angesehen, bin überall zu Fuß hingelaufen und konnte dabei das beste Steakhaus der Stadt ausfindig machen“. Worauf er stolzer zu sein scheint als auf dokumentierte Fan-Aussagen der Marke „Angus ist mein Gott und AC/DC meine Religion“, die sich im Bonusmaterial der DVD finden. „Ach, das ist doch nur ein nettes Kompliment, mit dem jemand seine Begeisterung zum Ausdruck bringen will. Aber ich kann mir nicht vorstellen, dass derjenige weiß, was er da sagt – oder dass man irgendwann eine Kirche für uns baut. Obwohl das natürlich nett wäre: The Church Of St. Angus. Klingt doch gut, oder?“

Eine Bodenständigkeit, die sich – bei allem Geld und Ruhm – auch privat niederschlägt. Denn abgesehen von Brians Autotick sind die Multimillionäre der Inbegriff von Bodenständigkeit und fast erschreckend normal. Sei es, weil sie sich in Luxushotels und Nobelrestaurants deplatziert fühlen, Brian und Ehefrau Brenda auf Campingausflüge nach Turtle Beach in Florida schwören („Das Beste, was es gibt!“), und Angus gar nicht daran denkt, sein Errocktes mit beiden Händen auszugeben. „Ich kaufe mir höchstens mal ein paar Lautsprecher oder ein altes Mischpult. Also Sachen, die ich zum Arbeiten brauche – aber sicher keine Luxusartikel.“ Was Brian mit einem anschaulichen Beispiel bestätigt: „Ich habe versucht, ihn zum Kauf eines Cabrios zu überreden. Erst wollte er wissen, was das kostet. Als ich ihm den Preis genannt habe, meinte ich noch: „Für 20.000 mehr bekommst du auch eines mit Dach.“ Er darauf: ‚Ich kaufe doch kein halbes Auto!‘ Dabei könnte ihm das eigentlich völlig egal sein.“

Bleibt nur noch eine Frage zu klären: Wie geht es weiter? Die Antwort ist denkbar einfach und unspektakulär: „Malcolm und ich arbeiten an neuen Stücken, aber ich habe keine Ahnung, wann die fertig werden. Ich hoffe, dass es nicht so lange dauert wie beim letzten Mal.“ Denn nur dann, so Brian, könnte sein Alter zum Problem werden. Ansonsten fühle er sich fit wie ein Stier und möchte möglichst schnell zurück auf die Bühne: „Warum aufhören, wenn es gerade so nett ist?“, setzt er an. „Wir haben die Zeit unseres Lebens – und die wollen wir noch ein bisschen genießen!“ Was einer Kampfansage gleicht: Die Ära AC/DC ist längst nicht zu Ende – zum Glück.

Marcel Anders

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