Mit Unterstützung von Duffy und seiner Stiftung ging Watkins mit weiteren von Music Maker geförderten Künstlern auf Tour, darunter auf Taj Mahal, und mit 60 konnte sie dann endlich ihr erstes Album aufnehmen. BACK IN BUSINESS von 1999 wurde von Mike Vernon produziert, bekannt vor allem für seine Arbeit mit John Mayall und den Fleetwood Mac unter Peter Green sowie die Gründung des britischen Blueslabels Blue Horizon. „Ich habe so viel harte Arbeit in dieses Business gesteckt“, sagte sie, „und ließ immer die anderen strahlen. Jetzt ist meine Zeit gekommen.“
Ein Vorteil ihres fortgeschrittenen Alters war, dass sie sich aus den zahlreichen Klängen und Szenen bedienen konnte, die sie in ihrem Leben aufgesogen hatte. Man konnte sie in all ihren folgenden Auftritten und Aufnahmen hören, von Gospel über furiosen R’n’B, Soul und Funk bis hin zu Jazz. Sie war in erster Linie Gitarristin und in zweiter Linie Songwriterin (wenig überraschend, schließlich hatte sie fast in ihrer gesamten Karriere Gitarre gespielt), doch ihre Songs strahlen Klarheit und Energie aus, doch geprägt von Jahren des Party-Blues und Kneipen-Boogies mit Piano Red. ›I’m Gonna Rock Some More‹, ›Right Don’t Wrong Nobody‹, ›Back In Business‹, ›Impeach Me Baby‹ – dies ist Musik, die unterhalten, nicht nachdenklich machen soll. In ihrer späteren Karriere hatte sie mit allerlei gesundheitlichen Problemen zu kämpfen, darunter Krebs, ein Herzinfarkt und ein Hirnaneurysma, doch sie hörte nie auf, aufzutreten.
Die meisten Clips, die sich online finden lassen, zeigen sie in ihren 70ern, wie sie immer noch mächtig rockt und das Publikum zum Mitsingen bringt. In ihren letzten Jahren gab sie Interviews aus einer Senioreneinrichtung für betreutes Wohnen in Atlanta, wo sie davon träumte, ein eigenes Haus und
eine Les-Paul-Gitarre zu besitzen. Sicher gibt es andere wie sie – begabte Musiker*Innen, oft Pioniere auf ihrem Gebiet, die es nie ins Rampenlicht schafften. Wir hören heute immer wieder von bislang unbekannten Talenten, weil irgendein großer Star sie entdeckt hat, doch Watkins hatte nie dieses Glück.
Dass sie als Frau von über 60 an die Öffentlichkeit trat, in einer Zeit, als der Blues erst noch seine nächste Renaissance erleben musste, half natürlich auch nicht gerade. Und so blieb ihr Name außerhalb der lokalen Szene von Atlanta und einem engen Kreis eingefleischter Bluesfans unbekannt. Ihr letztes Album, DON’T MESS WITH MISS WATKINS, erschien 2010. Bis zu dem Schlaganfall 2019, gefolgt von dem Herzinfarkt, der sie im Alter von 80 Jahren schließlich das Leben kostete, spielte sie weiterhin in Clubs und Altersheimen in Atlanta – und an jedem ersten Sonntag des Monats in der Kirche in Commerce, Georgia, in der sie aufwuchs. Ihren Glauben verlor sie nie. „Er [Gott] kümmerte sich um mich, als ich es selbst nicht tat“, sagte sie lächelnd bei einem Gig an ihrem 76. Geburtstag in der Northside Tavern. Und ja, sie spielte immer noch mit der Gitarre hinter dem Kopf.