Auf seinem zweiten Album tobt sich Benjamin Booker zwischen Blues, rohem Garagenrock und Soul aus – und zeichnet ein dunkles Bild von Amerika, ohne in Resignation zu verfallen.
Zwei Jahre waren seit seinem Debüt vergangen, als Benjamin Booker Anfang 2016 eine radikale Entscheidung traf. Er wachte eines Morgens auf und eröffnete seinem Manager, er werde nach Mexiko gehen. Ob er denn die Sprache spreche? Nein. Deshalb gehe er. Am nächsten Tag war er in Mexiko City. „Ich erkannte, dass ich ein Songwriter ohne Songs war“, erinnert sich Booker. Da seine Lieder so eng mit ihm selbst verbunden seien, habe er „als Person wachsen“ und über Dinge nachdenken müssen. „Mexiko gab mir Raum, ich verbrachte viel Zeit allein, abgeschirmt von den Nachrichten, von Politik, von Freunden. Das half mir, wieder zu schreiben.“
Geboren 1989 in Virginia Beach, verbrachte Booker den Großteil seiner Jugend in Tampa, Florida. Dort besuchte er viele Punkkonzerte – was seine eigene Musik hörbar beeinflusst hat –, musste aber auch Erfahrungen mit Rassismus machen. Er wurde etwa auffallend oft mit dem Auto angehalten, ohne erkennbaren Grund, wie er sich erinnert. Doch lange ließ ihn das kalt: „Ich war ein smarter Kerl, das ersparte mir viele Probleme.“ Das änderte sich schlagartig im Februar 2012, als der schwarze Highschool-Schüler Trayvon Martin in Florida von einem Wachmann erschossen wurde, der hinterher freigesprochen wurde. Der Vorfall führte zu einer großen Rassismus-Diskussion in den USA und traf auch Booker schwer: „Ich fühlte Angst. Echte Angst.“
Mexiko war so auf gewisse Weise auch eine Flucht. Und es lief gut, bis er eines Abends in eine Auseinandersetzung mit mehreren einheimischen Männern geriet. „Es schien wie aus dem Nichts zu kommen, und bevor ich wusste, was passierte, wurde ich zu Boden gestoßen.“ Ein Freund kam zu Hilfe und erklärte, dass einige hier Probleme mit Leuten hätten, die, nun ja, nicht von hier seien. Da habe er erkannt, dass Weglaufen nicht helfe. „Ich glaube nicht, dass die Angst je weggeht“, so Booker. „Aber ich habe mich entschlossen, stärker zu sein und so gut wie möglich zurückzukämpfen.“
WITNESS ist vor diesem Hintergrund ein düsteres Album geworden. Es geht um Einsamkeit, (gesellschaftliche) Isolation, um das Gefühl, nicht vorwärts zu kommen, im Leben, in der Liebe. Und es geht um eine Stimmung der Desillusion, acht Jahre, nachdem mit dem Amtsantritt von Barack Obama ein so großer Schritt gegen die Diskriminierung von ethnischen Minderheiten gemacht schien. „Now everybody that‘s brown can get the fuck on the ground“, singt Booker im Titelsong. „Thougt that we saw that he had a gun“, spielt auf die Notwehr-These an, die auch im Fall Trayvon Martin zum Einsatz kam. „Jede Minderheit in Amerika ist irgendwann von Rassismus betroffen. Es ist ein Land, das auf Genozid und Rassismus gebaut ist“, sagt der 28-Jährige fast resigniert.
Doch resigniert klingt sein Album nicht. Es ist ebenso wütend wie einfühlsam, genau wie Bookers Stimme, die das Raue des Grunge mit der Softness des Soul verbindet. Auf WITNESS habe er sich auf dunkles Terrain begeben, erklärt der Sänger, allerdings aus einem optimistischen Grund: „Manchmal musst du dunkle Orte betreten, um Fortschritte zu machen und vorwärts zu kommen. Du kannst deinen Dämonen nicht ausweichen, du musst dich ihnen stellen.“ Am Ende dieses Prozesses gebe es mehr Frieden als zuvor.
Wie schon auf seinem Debüt pendelt Booker auf WITNESS musikalisch zwischen Garagenrock, verzerrtem elektrischem Blues und Soul. Der Sound ist bewusst ungeschliffen, roh und scheint einen etwa beim eröffnenden ›Right On You‹ aus den Boxen heraus anzuspringen. Zwischendurch gibt es langsamere Nummern wie ›Motivation‹ und eben ›Witness‹, auf dem Mavis Staples im Refrain zu hören ist, eins der Idole des Jungstars.
Bleibt noch eine Frage am Ende: Was hält Booker eigentlich vom neuen US-Präsidenten? Nichts natürlich. Allerdings will er sich seine Heimat dadurch auch nicht mies machen lassen. „Der Präsident ist nicht das Land. Das sind wir. Ich weiß, dass hier eine Menge Leute mit großen Herzen leben, und das gibt mir Hoffnung.“