Er war elegant, er war charmant und immer auf der Suche nach Liebe, Spiritualität und den perfekten Worten dafür. Mit Leonard Cohen hat die Popmusik einen ihrer großen Stilisten verloren.
„Ich denke, ich werde dir sehr bald folgen. Wisse, dass ich dicht hinter dir bin, dass du meine Hand berühren kannst, wenn du deine Hand ausstreckst.“ Diese Worte richtete Leonard Cohen vor wenigen Monaten in einem Brief an seine im Sterben liegende frühere Muse Marianne Ihlen. Allein in ihnen steckt so viel, was ihn ausmachte. Seine Wärme, seine feine Art, sein Gefühl dafür, das Größte auf einfache, greifbare Art zu sagen. Er hat es in seinen Songs so oft ausgespielt.
Cohen hatte Ihlen auf Hydra kennengelernt, Anfang der 60er war das. Der Kanadier hatte seine Heimat Montreal, wo er 1934 zur Welt gekommen war, der Kunst zuliebe verlassen und war auf die griechische Insel gezogen. Dort brachte er seine Zeit damit zu, an seiner angedachten Karriere als Schriftsteller zu arbeiten, Romane und Gedichte zu schreiben und mit Drogen zu experimentieren. „Ich warf Trip auf Trip ein, während ich auf meiner Terrasse saß, und darauf wartete, Gott zu sehen.“ Letztendlich sei es dann immer nur auf einen gehörigen Kater hinausgelaufen, erinnerte sich Cohen später. Zwischendurch jedoch fand er Zeit, sich in eine junge blonde Norwegerin zu verlieben, besagte Ihlen. Die beiden wurden ein Paar, für mehrere Jahre, und seine Freundin inspirierte Cohen zu Liedern wie ›Bird On The Wire‹ und, natürlich: ›So Long, Marianne‹. Der Songschreiber Leonard Cohen war geboren.
Um seine im Vergleich zur Literatur lukrativere Musikkarriere voranzutreiben, ging Cohen 1967 nach New York. Er war 32, und damit für einen Popstar natürlich viel zu alt. Zumindest für einen gewöhnlichen Popstar. Doch ein solcher war er nicht. Das machte allein sein erstes Album klar, auf dem sich Klassiker wie ›Suzanne‹ (bis heute vielleicht der ultimative Cohen-Song) oder ›Sisters Of Mercy‹ fanden. Der Songschreiber schien ein göttlich Erleuchteter zu sein, einfühlsamer Liebhaber und Erotomane zugleich. Die nonchalante Art, mit der er über Liebe und Tod, Lust und Spiritualität sang, und in seinen größten Momenten all das zusammenbrachte: Das hatte es bis dahin nicht gegeben.
Seine poetisch klaren und puristisch schönen Texte, die er meist in melancholisch-monotoner Stimme darbot, enthalten mit die schönste Songlyrik überhaupt: „And you want to travel with her/And you want to travel blind/And you know that she will trust you/For you’ve touched her perfect body with your mind.“ So etwas sang sonst niemand. „It’s four in the morning, the end of December/I’m writing you now just to see if you’re better/New York is cold, but I like where I’m living/There’s music on Clinton Street all through the evening.“ Zeilen wie gemeißelt, zum Weinen schön.
Die nonchalante Art, mit der er über Liebe und Tod, Lust und Spiritualität sang, und in seinen größten Momenten all das zusammenbrachte: Das hatte es bis dahin nicht gegeben.
Cohen schrieb in seiner langen Karriere auch politische Lieder, er trat für die israelische Armee während des Jom-Kippur-Kriegs auf und setzte sich auf brillante Weise mit Terror auseinander (›First We Take Manhattan‹). Seine nachhaltigste Inspiration schien der ewige Gentleman und Verführer aber aus seiner Liebe zu den Frauen zu beziehen – und aus seiner Suche nach Spiritualität. Man denke nur an seinen fünfjährigen Aufenthalt in einem Zen-Kloster nahe Los Angeles in den 90er Jahren. Oder an seinen Hit ›Hallelujah‹.
Diese Zweiheit dominiert auch Cohens sehr düsteres, und dennoch wie immer auch ironisch humorvolles letztes Album YOU WANT IT DARKER. Manchmal ist gar nicht klar, mit wem der Sänger in seiner dunkel rauen Stimme spricht: mit Gott oder einer Geliebten. Wenn er sich etwa wünscht: „I wish there was a treaty/Between your love and mine.“ Viel weist auf das nahe Ende: „I’m ready, my Lord.“
Seine Freundin Marianne Ihlen starb nur wenige Tage, nachdem Cohen ihr ein letztes Mal geschrieben hatte, an Krebs. Dass er so dicht hinter ihr war, ihr derart bald folgen würde, dachte er damals vermutlich selber nicht. In einem seiner letzten Interviews sprach der Songpoet, sichtlich geschwächt und berührend sanft, über das Sterben und sagte: „Ich hoffe es wird nicht zu ungemütlich. Das ist auch schon alles.“
Das Unvermeidliche passierte schließlich in der Nacht des 7. November. Der 82-Jährige war in seinem Haus gestürzt und wenig später im Schlaf gestorben, wie von seiner Familie zu hören war. Der Tod sei „unerwartet“ gekommen – und „friedlich“.
Text: David Numberger