AC/DC im Herz
Gestern spielten AC/DC zum zweiten Mal im Rahmen ihrer „Power Up“-Tour in München und fairerweise sei eines vorweg gesagt. Wer hier eine möglichst neutrale Berichterstattung erwartet, der oder die ist zumindest bei diesem Schriftstück an der falschen Stelle. Man hört sie immer mal wieder unken, jene Rufe, die absolute Objektivität erwarten und das bei einem Thema, das so emotional und somit unobjektiv funktioniert wie die Musik. Da man diesen Bericht nicht einer KI überlassen wollte, ist es vielleicht notwendig, kurz über den Hintergrund und die Vorlieben der Autorin aufzuklären, damit Lesende das Geschriebene besser einordnen können. Deswegen hier nun eine wichtige Information: Ich verehre AC/DC seit meinem siebten Lebensjahr, ich liebe diese Band. Das heißt nun aber wahrlich nicht, dass man nicht kritisch auf die eigenen Helden blicken kann. Ganz im Gegenteil. Viel mehr steht man mit nervösem Magen in dem 180 Euro teuren Bereich vor der Bühne (selbstbezahlt) und lässt sich von der Vorband The Pretty Reckless berieseln – nicht etwa, weil die Band um Taylor Momsen schlecht abliefern würde, das tut sie nämlich wahrlich nicht, sondern, weil sich gerade schon alle Antennen am eigenen Körper auf AC/DC-Empfang ausrichten. Knapp eine Stunde lang bestreitet die talentierte Band diesen Slot, der auf der einen Seite so großartig und auf der anderen Seite extrem schwierig zu bespielen ist und kann mit Momsens elektrisierender Performance immerhin einen Teil des Publikums erreichen.
Nach einer 30 minütigen Umbaupause kommen sie schließlich nach einem kurzen, animierten Intro auf die schlicht gehaltene Bühne, jene Herren, die an diesem Abend die Welt bedeuten. Wie sich bereits seit dem „Power Trip“ Festival herumgesprochen hatte, beginnen AC/DC mit ›If You Want Blood (You’ve Got It)‹, einem, wenn nicht dem, Knaller von HIGHWAY TO HELL, der bisher in der Johnson-Karriere der Band live selten gespielt wurde. Danach gleich ›Back In Black‹, wo man das Gefühl hat, dass Brian in die „Yes I’m back“-Passagen besondere Gewichtung legt, denn schließlich ist er genau das mit seinen 76 Jahren: Zurück. Vergessen der vermaledeite Hörschaden, vergessen die Bilder von Axl Rose an Angus‘ Seite. Brian Johnson ist wieder da – und auch wenn er leider sehr wenig bis gar nicht mit dem Publikum spricht, so füllt er seinen Teil der Bühne doch bis an den Rand und darüber hinaus mit seiner sympathischen Art, seinen Tippelschrittchen, dem verschmitzten Grinsen und dem immer noch in seinen Hüften zappelnden Boogie aus. Gesanglich müht er sich natürlich ab. Von Sekunde eins weg. Wer etwas anderes erwartet, hat die letzten 15 Jahre AC/DC vielleicht übersehen. Doch Johnson zieht durch und bleibt einigermaßen stabil und das bis zum Schluss, er will seinem Publikum fast zweieinhalb Stunden lang die volle Brian-Johnson-Ära-AC/DC-Performance liefern. Und zwar nicht seinem Alter angemessen. Ich kenne niemanden, der 76 Jahre alt ist und das, was Brian mit seinen Stimmbändern auf dieser Bühne tut, auch nur fünf Minuten lang durchhalten würde.
Neben der mehr als soliden Rhythmusfraktion (anders könnten sie auch nicht für AC/DC spielen) mit Drummer Matt Laug, dessen Spiel sich an Phil Rudds Drumming orientiert, Bassist Chris Chaney und Stevie Young, der seine Gretsch ähnlich hart anfasst wie sein Onkel Malcolm, wäre da natürlich noch Angus – an diesem Abend in azurblauer Schuluniform. Ohne seine Gitarre ist Angus Young unkomplett, irgendwie lückenhaft. Wenn man ihn bei Interviews oder Fantreffen ohne dieses sechssaitige Ding sieht, wirkt er wie ein kleiner, unscheinbarer, zurückhaltender, alter Mann. Doch sobald er seine SG umschnallt, scheint es, als hätte er einen Zaubertrank eingeflößt bekommen, als würden plötzlich alle Sterne in der richtigen Konstellation stehen – dann nämlich strahlt Angus Young Zufriedenheit, Energie und Fokus aus. Und diese absolute Vollständigkeit, die ihn mitten aus dem Universum zur selben Zeit an jenen selben Ort gebeamt hat, an dem 66.000 Menschen vor der Bühne stehen, um zu ihm aufzublicken. Zu diesem sehr kleinen Mann, der in den letzten 50 Jahren seines Lebens unfassbar Großes geleistet hat und immer noch leistet. Angus Young und seine Gitarre bilden mehr als eine Symbiose, die Vereinigung dieser beiden Komponenten ist das vielleicht schönste und gesündeste Abhängigkeitsverhältnis der Rockmusikhistorie.
Wenn Angus Young Gitarre spielt, vergesse ich die Welt um mich herum. Vergesse ich fast den Typen neben mir mit den fast verfassungswidrigen Patches auf seiner Kutte (ekelhaft), übersehe ich das fast kopulierende Paar, das mir die Sicht versperrt und selbst seit 30 Minuten nicht mehr auf die Bühne geblickt hat. Dann übersehe ich auch gerne, dass sein Intro zu ›Thunderstruck‹ ziemlich aus dem Timing ist und es auch bei ›Hells Bells‹ dauert, bis seine Band rhythmisch wieder zu ihm findet. That’s life und vor allem live. Wenn Angus Young bei ›Dirty Deeds Done Dirt Cheap‹ für seinen einen Satz „But you ain’t got the guts“ extra ein Mikrofon auf die Bühne gestellt bekommt und dann vor lauter Freude bei seinem Einsatz nicht dort, sondern am Steg vorne steht und gerade noch im Zurücklaufen das „guts“ schmunzelnd in Brians Mikro knurrt und spontan das „enough to drive you nuts“ nachlegt, muss einem einfach das Herz aufgehen.
Wenn Angus Young bei ›Let There Be Rock‹ vor der Zugabe (›T.N.T.‹ und ›For Those About To Rock‹ mit Kanonenfeuer) fast zwanzig Minuten soliert, dabei Hüften und Arme kreist, die Menschen dirigiert, sich beim Grande Finale auf seiner Plattform tatsächlich noch unter Konfettiregen auf den Boden wirft und einfach nur seine verdammte Gitarre spielt, wie er es schon immer getan hat, kann einen AC/DC-Fan das nicht kalt lassen. Egal, wie sehr man sich teilweise berechtigt darüber ärgert, dass „nur“ noch Angus und Brian in der Band sind, darüber, dass die Tickets so teuer und AC/DC-Konzerte extreme Massentourismus- und Konsumveranstaltungen geworden sind. Wenn man sieht, wie ein einzelnes gelbes AC/DC-Konfetti sich auf der verschwitzten linken Brust von Angus Young festklebt, ein bisschen über der Stelle, wo sein Herz schlägt, dann werden all diese Gedanken zur Nebensache.
PS: Cliff Williams, du fehlst.
Selist:
If You Want Blood (You’ve Got It)
Back In Black
Demon Fire
Shot Down In Flames
Thunderstruck
Have A Drink On Me
Hells Bells
Shot In The Dark
Stiff Upper Lip
Shoot To Thrill
Sin City
Rock’n’Roll Train
Dirty Deeds Done Dirt Cheap
High Voltage
Riff Raff
You Shook Me All Night Long
Highway To Hell
Whole Lotta Rosie
Let There Be Rock
Zugabe:
T.N.T.
For Those About To Rock
Frau JACQUELINE FLOSSMANN ich ziehe meinen imaginären Hut vor Ihnen, einen absoluten Fan dieser Band die Rock-Geschichte zelebriert hat !
Beste Grüsse
Danke für den Kommentar Frau Flossman! Ich war gestern auch dort. Etwas weiter weg, auf der Tribüne und teile ihre Meinung zu absolut 100%. Sie schreiben mir aus der Seele…
Schöne Grüße
Markus K.
Bericht trifft den Nagel auf den Kopf! Exakt so habe ich das gestern auch erlebt – danke!
Sehr gut geschrieben
Naja, einigermaßen okay..aber die Äußerung zum Publikum „den Typen neben mir mit den fast verfassungswidrigen Patches auf seiner Kutte (ekelhaft), übersehe ich das fast kopulierende Paar, das mir die Sicht versperrt und selbst seit 30 Minuten nicht mehr auf die Bühne geblickt hat“ alleinstehend, haben wir Fans nicht verdient!
Davon ab, und ja..angenervt..schafft Euch ’nen Lektor an *kopfschüttel*
Was die Jungs jenseits der 70 noch an Energie auf der Bühne abfeuern ist unfassbar.
Leider haben wir in der unteren Reihe im Block Y eine katastrophalen Sound gehabt. Brian war über weite Strecken kaum zu hören, die Lead-Gitarre vom Angus sehr dominant und gut, aber die Vocals dafür schlecht gemischt!?
Hat jemand ähnliche Erfahrungen gemacht? Mich würde interessieren, ob das generell ein Problem im Olympiastadion München ist bzw. ob es nur die Dachseite betrifft!?
Freue mich über andere Erfahrungsberichte vom 12.06.
Hallo Theo, aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass es im Olympiastadion unter dem Dach tatsächlich oft sehr schwierig ist, was den Sound betrifft. Ganz vorne war der Sound super, auch weiter hinten soll er, nach Angabe einiger Bekannten, absolut in Ordnung gewesen sein. Liebe Grüße, Jacqueline von CLASSIC ROCK
Hallo JACQUELINE , sehr schöner, gelungener Artikel. Genau so wars.
Wenn du auf das inzwischen 11. internationale ACDC Fantreffen Ende September in Celle kommen willst und kannst- und ggf. einen ähnlich objektiven Artikel schreiben willst und ordentlich 3 geile Coverbands um die Ohren gehaut bekommen willst – die nur ACDC Spielen und keinen Song doppelt – schreib mich gerne an. Da gibt’s problemlos einen Presseausweis für Dich!
MArkus „Mili“ Miliczek-
Member Dynamite Fanclub Germany –
Member Orgateam Internationales Fantreffen Celle 2024
Liebe Jacqueline, du sprichst mir aus dem Herzen, so war es auch für mich.
Mich interessieren übrigens kein Soundprobleme, das kann bei so Konzertgrößen und -orten immer mal schlecht klingen.
Jetzt stand ich auch vorne, so wie du, nur in Gelsenkirchen am 21.05 und es war erhaben.
AC/DC haben mich mein ganzes Leben begleitet und ich bin ein harter Fan in dieser Zeit geworden.
Ich liebe alle Lieder, auch die von Flick, Fly und Blow, weil es meine Zeit war.
Da schaue ich nicht auf so kritische Kleinigkeiten wie fehlender Rhythmus oder Show.
Die gibt es nicht für mich, sie sind die waren Götter…alle…und Bon sowieso.
Vielleicht und das ist das Traurigste, war es das letzte mal sie zu sehen.
In diesem Sinne „Rock, Rock in Peace“.