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Pearl Jam: DARK MATTER

Die Überlebenskünstler aus Seattle strahlen auf Album Nummer 12 jede Menge Elan und Energie aus

Es ist unmöglich, sich einem neuen Pearl Jam-Album zu nähern, ohne an die gesamte Szene zu denken, aus der sie stammen. Seit ihrer letzten Veröffentlichung, GIGATON aus dem Jahr 2020, haben wir Screaming Trees-Frontmann Mark Lanegan verloren. Nach dem tragischen Ableben von Kurt Cobain, Layne Staley, Chris Cornell und Scott Weiland ist Eddie Vedder der letzte der großen, männlichen Grunge-Sänger. Er schien jedoch immer der größte Außenseiter der Seattle-Insider zu sein, dabei jedoch auch weniger verdammt von den Verlockungen der Sucht oder einer zu dünnen Haut, um mit dem Druck des Ruhms und der Welt im Allgemeinen fertig zu werden. Sie hatten immer eine gewisse Punk-Ethik im Umgang mit der Rock-Maschinerie, ja, aber Pearl Jam waren vom ersten Tag an schamlos stadiontauglich, was wohl das Geheimnis ihrer Langlebigkeit sein könnte. Mehr als drei Jahrzehnte später suchen sie mit DARK MATTER ihre Fußspuren wieder auf. Produzent Andrew Watt (der kürzlich mit den Rolling Stones – einer Band mit noch größerer Geschichte – an deren Comeback-Album HACKNEY DIAMONDS gearbeitet hat) hat sie dazu ermutigt, die feurigen, theatralischen und dramatischen Werke ihrer frühesten und beliebtesten Alben wieder aufzugreifen und neu zu bewerten: TEN, VS und VITALOGY. Es ist alles da, vom sofort erkennbaren Eröffnungsgeklimper von ›Scared Of Fear‹ über Schlagzeuger Matt Cameron, der dem Ganzen den gewohnt kolossalen Schwung verleiht, um es zum Leben zu erwecken, bis hin zu Vedder, der mit feiner Stimme auf die idealistische – und doch oft bissige – Szene zurückblickt, die Pearl Jam hervorgebracht hat, und gleichzeitig den Verlust und den Schmerz anerkennt, den eben jene Ära in ihrem Kielwasser hinterlassen hat. Es ist die Essenz von Pearl Jam, abgefüllt, aufgeschüttelt und entkorkt, mit Mike McCreadys Folterrad voller Gitarrenlicks, die jegliche Aufmerksamkeit sofort für sich beanspruchen. Die Kehrseite des Ratterns in ›Scared Of Fear‹ erscheint in Form von ›Something Special‹, der wahrscheinlich sentimentalste Song der Band überhaupt. In diesem fröhlichen, ›Itchycoo Park‹-artigen Track bietet der Frontmann seinen jungen Töchtern väterlichen Rat, Unterstützung und pure Liebe. ‚Wir glauben an dich‘, schmachtet er und macht den Song damit zu ihrer ganz eigenen Interpretation von David Bowies ›Kooks‹. Irgendwie schafft er es dabei jedoch, dass das eher süß statt übelkeitserregend rüberkommt. ›Something Special‹ und das eingängige ›Wreckage‹ – ein geschmackvolles, sanftes Classic-Rock-Konfekt, in dem Tom Pettys Melodieverliebtheit und R.E.M.s schwelgerische Streicher von Mitte der 90er widerhallen und das sogar an ›Fast Car‹ von Tracy Chapman erinnert – bilden die zarteren Stränge der Platte, wobei letzteres das viel beschwingtere Geschwisterchen von ›Daughter‹ von VS darstellt (obwohl der postapokalyptische Text ein ganz und gar düsteres Bild zeichnet). An anderer Stelle haben sie sich Mühe gegeben, den Regler hochzudrehen und den Sound so heavy wie möglich zu machen, nicht zuletzt beim Titeltrack. Selbiger ist eine Explosion aus hämmernden Drums, stechenden Riffs und Vedders Wut, die durch seine wunderbar tiefe Stimme gebändigt wird. Er greift den Status quo an und spricht eine nüchterne Warnung aus: ‘Once heard it said, and it stuck in my head, arrested the press, no one know what happened next.’ In einer Zeit, in der sich dunkle Mächte verschwören, um jeden mundtot zu machen, der versucht, sie zur Rechenschaft zu ziehen, ist das eine starke Aussage. ›Running‹ hingegen ist eine basslastige, zerklüftete, punkige Schimpftirade in der Art von ›Spin The Black Circle‹, völlig sinnwidrig (es scheint um Abwasser zu gehen), aber absolut magnetisch. Vedder hat in den letzten Jahren einiges an Kritik einstecken müssen, weil er manchmal nicht zu verstehen war, aber seine Stimme ist ein erstaunlich kraftvolles Instrument, voller Seele, Wut, Mitgefühl und Intelligenz. Und auch das gnadenlose Gitarristen-Duo Mike McCready und Stone Gossard macht hier keine Gefangenen, vor allem ersterer nicht. Von der New-Wave-Gitarrenlinie – und dem dazu passenden Peter-Hook-artigen Bass von Jeff Ament – des schwärmerischen Liebeslieds ›Won’t Tell‹ bis hin zum markanten Griffbrettfeuerwerk von ›Upper Hand‹ ist er ein absolutes Kraftpaket, ganz wunderbar. Dass Pearl Jam all diese Jahre nicht nur überlebt haben, sondern aufblühen, es mit Erwartungen aufnehmen und weiterhin riesige Menschenmengen anziehen, ist etwas, das gefeiert werden muss. Vor allem, da so vielen ihrer Zeitgenossen diese Chance grausam verwehrt wurde. Mit DARK MATTER, obwohl es niemals mit der aufwieglerischen Brillanz ihres Debüts und dessen Nachfolgers mithalten kann, haben sie das Porträt einer Band gezeichnet, die sich in ihrer eigenen Haut wohlfühlt, die ihre eigenen Stärken kennt und die in der Lage ist, nicht nur auf das zurückzublicken, was an ihrer Arbeit als junge Männer großartig war, sondern auch etwas von der Magie zurückzuerobern, die sie auf ihrem Weg an die Spitze gebracht, und dort gehalten, hat. Sie haben in den vergangenen Jahren einige wirklich schlechte Nachahmer inspiriert, aber mit DARK MATTER fegen sie diese Bands beiseite und erobern ihr eigenes, unverwechselbares Klangbild zurück.

8 von 10 Punkten

Pearl Jam
DARK MATTER
MONKEYWRENCH

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